Kirchentag: Zerfleddert und zu matt

Gestern ging der 24. Evangelische Kirchentag zu Ende/ Das Konzept, das Christentreffen auf mehrere Orte zu verteilen, ist gescheitert/ Kontroversen fanden mangels Kontrahenten nicht statt  ■ Aus Dortmund Andreas Zumach

„Es ist doch schön, daß es in den Veranstaltungshallen nicht so ein Gedränge gab, wie auf früheren Kirchentagen.“ In der Bilanz des Protestantentreffens an der Ruhr, das gestern mit einem Gottesdienst im Gelsenkirchener Parkstadion zu Ende ging, entdeckte Kirchentagspräsident Erhard Eppler plötzlich den Charme der kleinen Zahlen. Seit Nürnberg (1979) wurden auf der Abschluß-Pressekonferenz stets voller Stolz die stetig steigenden Besucherzahlen dieser alle zwei Jahre stattfindenden Großveranstaltung verkündet. Diesmal waren Beschönigungen für die weit hinter den Erwartungen zurückgebliebene Teilnahme am Revier-Kirchentag zu hören.

Auch konnte die Kirchentagsleitung die Frage nicht beantworten, wo sich denn die BesitzerInnen der 103.000 verkauften Dauerkarten von Donnerstg bis Samstag aufgehalten hätten. Denn die Großveranstaltungen auf den Messegeländen in Essen, Dortmund und Bochum wurden nach Erhebungen der Organisatoren täglich von nicht mehr als 45.000 Menschen besucht. Die 16 „Zentren am Wege“, die Kirchengemeinden im Ruhrpott eingerichtet hatten, lockten insgesamt nur wenige tausend Besucher. Einige der dort angesetzten Veranstaltungen fanden mangels Interesse überhaupt nicht statt. Da bleibt der Verdacht, daß ein Großteil der Teilnehmer ständig unterwegs war zwischen den bis zu vierzig Kilometern auseinanderliegenden Veranstaltungsorten.

Daß Eppler das von ihm so bezeichnete „Konzept der Regionalisierung“ des Kirchentages dennoch „insgesamt für gelungen“ erklärte, überzeugte nicht. Zumal er als Begründung für seine These lediglich anführte, die meisten Kirchentagbesucher seien mit dem System des öffentlichen Nahverkehrs „gut zurecht gekommen“. Wohl wahr. Dennoch dauerte die Reise auf der eigens eingerichteten „Kirchentaglinie“ zwischen Dortmunder Westfalenhalle und Essener Gruga oft bis zu anderthalb Stunden. Der Kirchentag ist „zerfleddert“, ergab denn auch eine Meinungsumfrage der Regionalzeitung 'WAZ‘ unter jugendlichen Kirchentagbesuchern. Doch Eppler sah auch in den langen Wegen nur Vorteile: „Da bleibt doch Zeit, zwischen den einzelnen Veranstaltungen die eigenen Gedanken zu ordnen.“ Ihm selber blieb diese Zeit nicht. Denn da die meisten KirchentagbesucherInnen in den vier Tagen tatsächlich auf ihr Auto verzichteten, konnten der Präsident und die anderen Leitungsmitglieder von der Fahrbereitschaft des Kirchentages auf einer unverstopften B1 (Ruhrschnellweg) in einer knappen halben Stunde von Essen nach Dortmund chauffiert werden.

Kopfschütteln und Widerspruch bei den professionellen KirchentagbeobachterInnen erzeugte auch Epplers Behauptung, die Diskussionen seien „weniger leidenschaftlich als früher“, aber „nicht weniger intensiv und informativ“ gewesen. Als Beispiel verwies er auf das Forum „Nach dem Golfkrieg“ vom Samstag.

Es war die einzige Veranstaltung zu diesem Thema, die die Organisatoren noch in das langfristig geplante Kirchentagprogramm aufzunehmen bereit waren. Die Teilnahme von über 8.000 Menschen zeigt, wie groß das Bedürfnis ist, über das — neben der deutschen Vereinigung — einschneidenste Ereignis der letzten zwei Jahre zu sprechen. Doch eine Kontroverse fand mangels Kontrahenten nicht statt.

Neben dem Heidelberger Theologieprofessor und früheren Kirchentagpräsidenten Wolfgang Huber, der die These vom „gerechten“ Golfkrieg zurückwies und sich gegen jede Form militärischer Interventionen und Eingreiftruppen mit Ausnahme von UNO-Verbänden aussprach, saß Wolfgang Altenburg. Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzende des Nato-Militärausschusses war schon zu seinen aktiven Dienstzeiten differenzierter und selbstkritischer als die meisten hohen Militärs in Bundeswehr und Nato oder die politische Führung im Bonner Verteidigungsministerium. Nun pensioniert und frei von Loyalitätszwängen machte er auf dem Kirchentagpodium Äußerungen, die sich zu 90 Prozent mit denen Hubers deckten. Die harten Realitäten, daß nämlich der Golfkrieg von Bundesregierung und heutiger Bundeswehrführung voll unterstützt sowie eine Nato-Eingreiftruppe mit deutscher Beteiligung gerade beschlossen wurde — sie fielen weitgehend unter den Tisch. Ob die Kirchentagleitung niemanden bekommen hatte, der diese Politk auf dem Podium vertritt, oder ob sie mit der Auswahl Altenburgs die Kontroverse von vornherein vermeiden wollte, blieb offen. Nicht glaubhaft jedenfalls wirkte Epplers Erklärung, man habe „vorher nicht wissen können“, welche Position Altenburg vertritt.

Die Chance zur notwendigen Auseinandersetzung verpaßte der Kirchentag auch mit dem stark vom Golfkrieg geprägten Forum „Israel in Gefahr — Peinlichkeiten in Deutschland“. Die Podiumsteilnehmer (Micha Brumlik, Edna Brocke, Konrad Weiß, Friedhelm Marquardt und Martin Stöhr) waren sich einig in ihrer harschen und — von einigen vorsichtigen Differenzierungsversuchen Stöhrs abgesehen — pauschalen Kritik an der deutschen Friedensbewegung: „gescheitert“. Ein Vertreter derselben war nicht auf das Podium geladen.