Amerika feiert sich frei

■ 800.000 Amerikaner säumten am Samstag die Straßen ihrer Hauptstadt, um die Heimkehr der "boys" aus dem Golfkrieg offiziell zu feiern. Washington empfing sie mit einem 12 Millionen Dollar teuren Spektakel, der...

Amerika feiert sich frei 800.000 Amerikaner säumten am Samstag die Straßen ihrer Hauptstadt, um die Heimkehr der „boys“ aus dem Golfkrieg offiziell zu feiern. Washington empfing sie mit einem 12 Millionen Dollar teuren Spektakel, der größten Militärfeier seit 1945. Ungetrübt vom Wissen über die irakischen Opfer will sich das Land heute mit der traditionsreichen Konfetti-Parade über den New Yorker Broadway endgültig vom Vietnam-Syndrom befreien.

Die Parade begann wie der Krieg gegen den Irak — mit dem Einsatz des radar- unsichtbaren F-117-Bombers. Als der flunderförmige Flieger über die Constitution Avenue hinweggleitet, erhebt sich dort unten zwischen der National Gallery und dem Lincoln Memorial ein ohrenbetäubendes Geschrei aus über 800.000 Kehlen. So ein Wunderwerk der unerreichbaren High- Tech haben nicht einmal die Japaner; und um die technologisch-destruktive Überlegenheit Amerikas zu feiern, ist man schließlich zu dieser Jubelparade gekommen.

„Wow“, was für ein Gefühl, als die erste F-117 auf ihre unheimlich lautlose Weise in Richtung Pentagon abdreht. „Hast du das gesehen, Dad?“ Natürlich. Wie in einem kollektiven Reflex haben die Familienoberhäupter den spektakulären Überflug des dreieckförmigen Vogels mit ihren Kamerarekordern für das Familienalbum festgehalten.

Dann kommt der Mann, der dieses Fest erst möglich machte: General Schwarzkopf. Er läßt sich nicht entlangrollen wie der Papst, wollte auch nicht chauffiert werden wie einer jener austauschbaren Politiker. Nein, General Schwarzkopf, der Erfinder der strategischen Wüstenoffensive gegen die eingebuddelten Truppen Saddam Husseins, schreitet eigenfüßig und mit ernster Miene den Verfassungsboulevard hinunter, so als wollte er dem Volk beweisen, daß der Mensch auch noch mit einem IQ von 170 marschieren kann.

Nicht zuletzt um ihn zu sehen, ist Henry Gates für das Wochenende mit Kind und Kegel in die Hauptstadt gekommen. Strategisch günstig hat sich die Familie des Feuerwehrmanns mit ihrer Eisbox an der Ecke zur 15. Straße postiert, wo zwei riesige Kräne mit einer darunter baumelnden riesigen Plastikrosette eine Art Triumphbogen bilden.

Waffenexperten entlang der Strecke

Der Ausflug ist zur Bildungsreise geworden. Schon gestern war Henry mit seinen beiden Boys auf dem Rasen hinter den Museen, um dort das furchtbare Kriegsgerät einmal mit den eigenen Händen betasten zu können. Eine halbe Stunde hatten sie mit ihren Compatrioten dort anstehen müssen, um sich die Giftgasmasken überstülpen zu können.

Zwei hilfreiche Vietnamveteranen, die bei jedem vorbeirollenden Panzer stolz die Fäuste in die Luft recken, erklären jetzt Henrys Söhnen, welch vernichtende Wirkung die 135-mm-Kanonen, Tomahawk Missiles und Freifallbomben haben können. Nur Henrys Gattin hat während des Golfkrieges wohl dauernd den Abwasch machen müssen. Auf ihre schüchterne Frage, ob denn die Scuds das gleiche seien wie die gerade vorbeirollenden Patriots, explodiert ihr Ehemann wie eine selbige. „Mensch, unsere Patriots waren doch dazu da, die Scuds der Iraker herunterzuholen, verstehst du das denn nicht!“

Aber dann wird der reibungslose Ablauf der 12-Millionen-Dollar- Show für einen Augenblick unterbrochen. Mit einem mutigen Sprung hat sich ein ganz in Schwarz gehüllter junger Mann auf einen der vorbeiratternden Panzer geschwungen und steht stumm hinter der Bordkanone. Unter einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert der aufgebrachten Menge wird er von der Polizei heruntergezerrt. „Daß diese Protestler uns einfach den Sieg nicht gönnen“, meint Henry zu seinem Nachbarn, der wütend mit der Faust schüttelt. Die übrigen Verletzungen der öffentlichen Ordnung, so wird später der Polizeibericht konstatieren, waren vornehmlich Verstöße gegen die Straßenverkaufsordnung.

Als nächstes folgen die Truppenkontingente der Navy, schick und schmissig in ihren weißen Uniformen und immer mit dem Anspruch, unter den verschiedenen Waffengattungen etwas Besonderes zu sein — was sich in diesen Tagen darin äußert, daß der Widerstand der seefahrenden Militärs gegen die gegenwärtigen Abrüstungsbemühungen im Kongreß besonders erfolgreich ist.

Die Karnevalisierung des Krieges

Gegenüber, an der Präsidententribüne, sitzen die Vertreter der Jubelpresse mit ihren mikrophonbesetzten Kopfhörern, wie sie sonst nur Sportreporter tragen. „Da ist eine ganze Menge Stolz in der Luft“, kommentiert die NBC-Moderatorin die gebotene Karnevalisierung des Krieges. „Dieser Golfkrieg war kein Picknick, schon gar nicht für die irakischen Truppen“, weiß ihr Kollege zu berichten, um dann fortzufahren, wie sehr sich die US-Truppen mit ihrem heroischen Einsatz für Kuwait die Einladung des Präsidenten zum Picknick hinter dem Weißen Haus verdient hätten.

Am Ende der größten Militärparade, seitdem General Eisenhower die siegreichen Truppen nach dem Zweiten Weltkrieg die Pennsylvania Avenue herunterführte, nach dem Defilee von 8.000 GIs, nach dem Verzehr von 40.000 toten Hühnchen und der Abfüllung von 800 mobilen Toiletten, nach Fähnchenschwenken, Marschmusik und „God Bless Amerika“ bewegt sich die patriotische Menge beruhigt in Richtung Heimat — stolz darauf, daß sie für die Trillion Dollar an Rüstungsausgaben während der 80er Jahre nun endlich — am Golf wie hier auf der Washingtoner Parade — etwas zu sehen bekommen hat. „Jetzt weißt du endlich“, so ein Dad zu seinem Sprößling, „warum wir hier nicht unter dem Kommunismus leben müssen.“ Rolf Paasch, Washington