Polen: Streit um Wahlgesetz

Walesas Einspruch gegen die Wahlordnung könnte eine Verzögerung der Neuwahlen zur Folge haben  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Der Streit um das Wahlrecht droht den vom Parlament für Ende November festgesetzten Termin für Neuwahlen in Gefahr zu bringen. Das Wahlgesetz, das vom Parlament nach langwierigen Auseinandersetzungen verabschiedet wurde, ist von Präsident Walesa bisher nicht unterzeichnet worden.

Laut Verfassung hat der Präsident das Recht, gegen Gesetze des Parlaments ein Veto einzureichen, das wiederum vom Parlament mit Zweidrittelmehrheit überstimmt werden kann. Das Wahlrecht ist bisher von zahlreichen Walesa nahestehenden Gruppierungen heftig kritisiert worden.

So hatte sich das landesweite Bürgerkomitee an den Präsidenten mit der Bitte gewandt, das Gesetz nicht zu unterschreiben. Ähnlich wie der Senat und der Beraterrat des Präsidenten sowie mehrere rechtsgerichtete Parteien lehnt es das Bürgerkomitee ab, daß Personen, die weniger als fünf Jahre in Polen leben, nicht kandidieren dürfen. Zugleich sieht das Gesetz ein Wahlkampfverbot in Kirchen vor, wogegen besonders die „Christlich-Nationale Vereinigung“ Sturm läuft.

Das Wahlgesetz ist Ergebnis eines Kompromisses einer Initiative von Abgeordneten und einem entsprechenden Projekt des Präsidenten. Es sieht eine sehr komplizierte, am bundesdeutschen Wahlrecht orientierte Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahl vor. Darin werden Verhältniswahlen in großen Wahlbezirken mit dem Mehrheitsprinzip von Personenwahlen in Unterbezirken und einer landesweiten Parteienliste verbunden. Das Gesetz würde mit ziemlicher Sicherheit zu einer breiten Aufsplitterung des künftigen Parlaments in mehrere Dutzend Fraktionen führen, was ein weiterer Kritikpunkt ist.

Präsident Walesa hat nun in einem Brief an das Parlamentspräsidium Einspruch gegen das Gesetz erhoben und gefordert, die von ihm festgestellten Mängel zu beseitigen. Zugleich garantierte er öffentlich die Einhaltung des Novembertermins. Da der Brief kein ausdrückliches Veto gegen das Gesetz enthält, wies Sejm-Marschall Kozakiewicz den Einspruch zurück und bat zugleich um eine eindeutige Mitteilung, ob der Brief ein Veto im Sinne der Verfassung darstelle. Walesa äußerte sich dazu nicht, wies aber in einem erneuten Brief den Vorwurf zurück, seine Forderung zögere die Neuwahlen hinaus. Bis jetzt ist unklar, ob Walesa ein Veto einlegen wird oder nicht.