Englisch für Fortgeschrittene

■ »Travesties« im Modernen Theater

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»The difference between a man and a coffemill is art. But with art man is a coffemill« (Tristan Tzara, Dadaist). »And what did you do in the Great War?« — »I wrote Ulysses. And what did you do?« (James Joyce, Romancier). »For me — I'm a barbarian...« (Lenin, Revolutionär). Drei Meinungen über Kunst von drei Geistesgrößen, die sich während des Ersten Weltkrieges unabhängig voneinander in Zürich aufhielten. In Tom Stoppards Stück »Travesties« aus dem Jahre 1974 treffen sie in der Erinnernung des britischen Konsuls Henry Carr, einer ebenfalls historisch verbürgten Gestalt, aufeinander. In fiktiven Begegnungen messen sie ihre intellektuellen Klingen, reden über den Ursprung des Ersten Weltkrieges etwa, dessen Anlaß (das Attentat von Sarajewo) ebenso vom Zufall abhing wie die Zusammensetzung der Schnipselgedichte Tzaras.

S. N. A. F. U., die englischsprachige Theatergruppe der FU, spielt das Stück erstaunlich professionell, mit viel Spaß an der Freud' — und natürlich im Original. Achtung: hier wird Englisch für Fortgeschrittene benötigt! Auch der Verfasserin dieser Zeilen war es nicht immer möglich, den ausschweifenden Diskussionen über Kunst und Gesellschaft zu folgen. Wer jetzt graue Theorie erwartet, liegt völlig falsch. S.N.A.F.U. ist übrigens ein militärisches Funkkürzel und bedeutet: »Situation normal, all fucked up« (Dank an B.B.)

»Travesties« bietet überaus witziges, ironisierendes Theater voll überraschender Einfälle, von Nigel Luhman und Sadhbh Walshe souverän inszeniert.

Mit cineastischen Stilmitteln wird ironische Distanz zum Geschehen auf der Bühne erzeugt. Bei jedem Gefühlsausbruch des Gentleman Carr beispielsweise friert das Bild ein, blaues Licht erscheint und eine Kuckucksuhr ertönt. Danach wiederholt der ungerührte Butler exakt den Eingangstext, als sei nichts geschehen.

Die spröde Bibliotheksangestellte, die eben noch über Kunst und Gesellschaft sprach, legt plötzlich auf ihrem Schreibtisch einen aufregenden angedeuteten Striptanz hin. Wunderbar gelungen ist auch der Sprechgesang der beiden Rivalinnen Cecily und Gwendolen, die beim Tee vor falscher Freundschaft zu unverhohlener Feindschaft wechseln — und wieder zurück.

Lenins Ausführungen über Parteikunst sind Originalzitate, und wie eine Primärquelle auf zwei Beinen wird er auch in Szene gesetzt: täuschend echt zurechtgemacht und erst nach dem gesprochenen Doppelpunkt seiner Frau (z. B.: »Letter to Gorki:«) in Aktion tretend.

Obwohl sich alle Darsteller ohne Laien- Appeal wacker schlagen, geht nur einer völlig in seiner Rolle auf: Vassilis Kuhkalani als Tristan Tzara. Mit Monokel, schwarzem Zöpfchen und türkisfarbener Fliege ist er in seinem weißen Anzug ein Dandy wie aus dem Bilderbuch. Seine leidenschaftlichen Attacken für »Dada! Dada! Dada!« bilden einen komischen Kontrast zum coolen, stocksteifen Joyce.

Querverbindungen zu Oscar Wildes »The importance of being earnest« geistern durch »Travesties«. Henry Carr spielte tatsächlich 1918 in Zürich die Hauptrolle in der Inszenierung von Joyce, was einen Rechtsstreit nach sich zog, Iren sind geizig.

Die Erinnerung an diese Begegnung ist das reale Band zwischen Carr, Joyce und Zürich, der Rest findet in der Phantasie des mittlerweile alten Mannes statt. »Travesties« ist eine Fundgrube für Insider in einer überaus originellen Inszenierung. Pia Rehberg