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“Dieser Krieg war Völkermord

■ Bremer erinnern an den Einmarsch in die Sowjetunion vor 50 Jahren

Am Deichschart begann das „Russenlager“, den Werder-See gab es noch nicht. Die kümmerlichen Holzhütten zogen am Buntentorsteinweg entlang südwärts bis zum Dammacker. Bis zu 1.000 russische „Ostarbeiter“, Zivilisten, die nach dem Einfall der deutschen Wehrmacht deportiert und durch Arbeit in deutschen Unternehmen vernichtet wurden, haben dort gelebt, zusammengepfercht unter den qualvollsten Bedingungen.

Das Lager am Buntertorsteinweg war nur eines von knapp 200 in Bremen. Und damit das Leiden der Sowjetrussen nicht vergessen wird, haben mehrer Bremer Vereine und Initiativen eine Gedenkfeier anläßlich des 50. Jahrestages des Einmarsches in die Sowjetunion organisiert.

„Dieser Krieg war Völkermord“, meint der Vorsitzende der deutsch-sowjetischen Gesellschaft, Konrad Kunick. „Man muß das Wissen um das Leiden an die späteren Generationen weitergeben,“ Darunter falle zum Beispiel das Wissen um einen Befehl des Oberkommandos des Heeres, wonach den Russen nur die Hälfte der ohnehin spärlichen Tagesration Brot zukommen sollte. „Russenbrot“, das waren 50 Prozent Roggenschrot, 20 Prozent Zuckerrübenschnitzel, 20 Prozent Zellenmehl und 10 Prozent Stroh oder Laub. Wer nicht verhungerte, wurde in den bremer Betrieben durch Arbeit vernichtet. Über das Arbeitsamt forderten die bremer Unternehmer die Arbeitskräfte an, die bereitwillig von SS und Reichsbahn aus dem fernen Osten herangeschleppt wurden. Waren sie ausgelaugt, wurden sie wie abfall hinter dem Oslebshauser Verschiebebahnhof verscharrt. Staatsarchivsleiter hartmut Müller: „Es ist erschreckend, mit welcher Akribie die grauen hier zu technischen vorgängen wurden.“ So habe es eine umfangreiche diskussion darüber gegeben, wie lange die Leichen in ihren Teertüchern wohl verwesen müßten, bevor das Gelände wieder nutzbar würde.

Von den ehemals 1.438 Mitgliedern der jüdischen Gemeinde in Bremen wurden kurz nach der Eröffnung des Krieges gegen Rußland, am 18. November 1941, über 400 Menschen nach Minsk deporteirt und ermordet. „Unser Engagement für die freundschaft mit rußland kann nur gedeihen, wenn wir wissen, daß wir voller Scham und schuld sind“, sagte der protestantische Pfarrer Louis von Zobeltitz, der im Herbst mit 80 Bremern eine Gedenkfahrt nach Minsk organisiert. Die übrigen Mitglieder der jüdischen Gemeinde bremen kamen ins konzentrationslager Theresienstadt, einigen wenigen gelang die Flucht.

Nach einer Gedenkstunde in der Oberen Rathaushalle, auf der unter anderem der Historiker Wolfgang Eichwede von der Forschungsstelle Osteuropa sprechen soll (Beginn: 19.00 Uhr), soll sich ein Marsch zum ehemaligen Lager am Buntertorsteinweg formieren. „Besonders perfide war der Befehll der Nazis, daß die Lagerinsassen bei Fliegeralarm nicht in die Schutzbunker durften“, erklärte Kunick, der auf dem Lagergelände einen Kranz niederlegen will. Wo, ist allerdings noch nicht klar, eine Gedenkstalle gibt es noch nicht.

Wieviele Russen insgesamt nach Bremen deportiert wurden, wieviele hier starben, ist kaum genau zu rekonstruieren. Registriert sind immer nur Minutenaufnahmen aus den Lagern, nie die kontinuierliche Belegung. Die Gefangenen wurden niergends registriert. Konrad Kunick: „Dieser Krieg war die zivilisatorische vergiftung der deutschen und die Rückkehr zur Barbarei“, erklärte Kunick gestern mad

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