„Die Eltern sitzen im Nebenzimmer“

■ ZDF übergab Bundeskriminalamt umfangreiches Beweismaterial gegen Kinderporno-Produzenten Journalist recherchierte für ZDF und 'Tempo‘ sechs Monate in der Szene

Berlin (taz) — Sechs Monate lang trieb er sich als „Lolita-Freund“ in der Kinderschänder-Szene herum. Als „pädophiler Kameramann“ knüpfte er Kontakte zu drei Kinderporno-Produzenten, schaute sich die abscheulichsten Filme an, ließ sich einweihen in das kommerzielle Vertriebssystem, verschaffte sich Listen mit Händleradressen, sprach mit Kunden und ihren Opfern, den Kindern. Dann schlug 'Tempo‘-Mitarbeiter Manfred Karremann zu: Er entlarvte die Täter, die kleine Mädchen und Jungen, manchmal erst fünf Jahre alt oder noch jünger, vergewaltigen und dabei die Kamera laufen lassen und mit ihren Filmen auch noch Millionen machen, öffentlich. Die Ergebnisse seiner Recherchen waren vorgestern abend auch in „Studio 1“ des ZDF zu sehen. Das umfangreiche Beweismaterial gegen die illegalen Kinderpornoproduzenten übergab das ZDF-Fernsehmagazin anschließend dem Bundeskriminalamt — darunter Originalfilme und Adressenlisten von Händlern und Kunden.

Sicher: JournalistInnen sollten sich grundsätzlich nicht zu GehilfInnen der Ermittlungsbehörden machen. Aber hier geht es um eines der perversesten Verbrechen, sexuelle Gewalt an Kindern. Es verbreitet sich rasch, ist bereits zum Millionengeschäft geworden, doch die GesetzgeberInnen reagierten bisher hilflos, siehe den Antrag zur Kinderpornographie, den Abgeordnete aller Bundestagsfraktionen Anfang dieser Woche vorstellten. Verlangt werden darin höhere Strafen für Verstöße gegen das Kinderpornographie- Verbot. Auch der Besitz solcher Filme soll zukünftig bestraft werden.

Die Ermittlungsbehörden aber geben sich schwerfällig. Die wenigen Fälle, die bisher zur Anklage kamen, endeten meist mit lächerlichen Geldstrafen. „Das Strafmaß wird von den Gerichten nicht ausgenutzt und die Täter lachen“, beschreibt Hans-Hartmut Zerner, Kommissariatsleiter bei der Berliner Kripo die aktuelle Lage. Berlin, so die Erkenntnisse des Journalisten Karremann, ist neben dem Ruhrgebiet, dem Rheinland, Hamburg und München eine der Hochburgen der Kinderpornoszene. In Berlin aber laufen derzeit keine Ermittlungsverfahren, „denn Anzeige erstattet niemand, das bleibt im Familienverband,“ so Zerner. Karremann beschreibt die „kriminelle Kumpanei“ die in der Szene häufig zwischen den Eltern der Kinder und den Videoproduzenten herrscht: „Die Eltern sitzen im Nebenzimmer, während eine Tür weiter ihr Kind vergewaltigt wird.“ Es gebe Eltern, die für 500 Mark ihre Tochter oder ihren Sohn einen Nachmittag „vermieten“.

„Wenn wir Razzias machen, finden wir sicher nur uralte Dinge“, sagt Zerner. Die Videotheken seien „clean“, und nach welchen Kriterien sollte sein kleiner MitarbeiterInnenstab die Vielzahl von einschlägigen Heften nach entsprechenden Anzeigen durchkämmen? Spätestens aber an den Postlagerkarten, über die Anbieter und Nachfrager in Kontakt kommen, scheiterten die Ermittlungen, so Zerner. Verdeckte Ermittlungen, im Kampf gegen die Drogenkriminalität immer wieder erfolgreich, aber lehnt der Kommissariatsleiter entschieden ab: „Wir können nicht in den Untergrund gehen.“ Warum eigentlich nicht? Ulrike Helwerth