Jetzt tanzen die Mäuse

■ Hans Kresnik ist weg — sein Ensemble choreographierte selbst: „6 im Concordia“

Mit magischer Meterware: Regine Fritschi in „Römischer Tod“Foto: Jörg Landsberg

Seit die Windhose Kresnik vorübergehend in Stuttgart wirbelt, hat sein Ensemble mal sturmfrei. Flugs zeigt es, was es selber kann: Stücke machen, Bewegungen erfinden, in anderen Sprachen tanzen. „6 im Concordia“ ist ein schöner, mächtig bewegter Abend aus Einzelteilen (es sind dann doch sieben geworden). Heftig beklatschte Premiere war donnerstags.

Das erste Stück, benamst Der Schrank, müssen Sie einfach aushalten (Choreographie: Roberto Giovanetti). Das ist ein fader Traumquark mit Schrank (!) und Spiegel (!) und sonst noch jede Menge Hopsassa.

Aber dann! Kommt Osvaldo Ventriglia (der einzige Gast) einher und tanzt sein Solo Toter geboren. Wir sehen den Tänzer krallestarr kauern als insektoide Verpuppung von Unfaßlichem und sehen dann eine wunderbare, erbärmliche Entfesselung. Als zerbräche im Inneren ein grausiges Skelett, ruckelt und renkt sich die Spottgestalt zurecht und wird menschenähnlich und läuft schließlich ordnungsgemäß immer im Kreis: per aspera sozusagen ad Marathon. Das ist das alte Körpertheater, aber auf den Kopf gestellt: Ventriglia verwickelt uns in eine böse, starrsinnige Bewegungslogik ohne Auflösung.

Der Morgen ist ein Kurzkomödchen aus getanzten Slapsticks (Choreographie: Gernot Frischling). Um die vorgesehene Familie geht es bloß irgendwie, aber alle Bewegungen sind von pfiffiger Komik gekitzelt. Als Sinnen- Gymnastik sehr erquickend.

Dem Maverick Quek verzeiht man, weil er herrlich tanzt, sogar

hierhin bitte

das Foto von der

Tänzerin mit

viel Tuch

drumrum

seine grausam zusammengereimte Message gern. So elegant, so fließend rund ist selten wider den Konsumismus etc. gepredigt worden. Daß Quek am Ende, als Hommage à Papa Hans, eine Melone zerschmeißen muß, macht auch nix, weil vorher haben wir ihn gesehen als köstlich komischen Kerl, und haben gesehen, daß er, ohne das mindeste Trans- Gehabe, tanzen kann wie eine Frau, und haben, ganz nebenbei, in aller Kraft gesehen die Körperkampfarbeit Asiens.

Nach der Pause sind fast zwei Stunden rum, und von Müdigkeit ist keine Rede. Das Episodische tut dem Tanztheater gut. Leicht wie nie ist auf einmal ein Abend gefüllt! Und selbst ein ambitioniertes Stück wie Maldoror (von Christine Comtesse) verliert, so eben mal im Sortiment geäußert, den sakralen Ruch der Kunstanstrengung. Maldoror ist ein Fünf- Personen-Tanz aus kaltem Kalkül. Es herrscht die geometrische Mechanik der Machtkämpfe. Die Geschichte ist leider ein bißchen verstiegen. Zum Ausgleich sind aber starke Bilder eingelegt, und mitunter stürzen wir in wirkliche kinetische Abenteuer. Da taumeln in den Körper die Kraftachsen, und zerstrittene Vektoren kreuzen einander, bis sich die Maschinerie selber lahmlegt und bloß noch ein verrenkter Arm zittert wie ein Kurvenschreiber.

Susana Ibanez macht Zwei Tangos und eine Milonga. Das ist, mittels Sofa und paar leeren Männerkleidern, eine Verführung als ulkiger Showdown. Die Tänzerin ist geradezu eine Virtuosin der Ungeschicklichkeit. Und hat ein großes Verwandlungsrepertoire: kaum hat sie Frack und Hose an, bewegt sich ganz köstlich auf pure

Kerls-Weise. Das erinnert uns daran, was das Tanztheater womöglich alles mit der vergessenen Pantomime anfangen könnte.

Am Ende der bunten Abendprozession kommen drei Soli von Joachim Siska, getanzt von Regine Fritschi: Römischer Tod. Ein Stück voller sperriger Verschlüsselungen. Eine gewisse Rolle spielt der Typus des römisch-katholischen Machtmenschen. Den ersten Vertreter dieses Schlags im weiteren Sinn, nämlich Caesar, tanzt Regine Fritschi wie einen maroden Staatsekretär. Langsam und mit Gravität schleppt sich die Gestalt von Pose zu Pose und erbricht am Ende ein Ei. Folgt Mussolini und übernimmt sogleich das Vokabular der Macht und ist aber bloß ein aufgescheuchter Dilettant. Schließlich der Heilige Vater schafft die Synthese und rettet die Macht, indem er sie vollends theatralisiert. Im Stück unter Einsatz von bewährt magischem Textil (Meterware) und einem Sack voller stinkender Fische.

Auch diese hat Kresniks Geist auf die Bühne geschüttet. Hoffentlich kommt er bald wieder. Hoffentlich läßt er sein prächtiges Trüppchen bald mal wieder allein. Manfred Dworschak

Nächste Vorstellungen: Sonntag, 16.6., und Dienstag, 18.6., je 20 Uhr im Concordia