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"Im Prinzip ist alles möglich"

■ Landnahme und Überführung des Büros für architekturbezogene Kunst in Buch - Wer wird der neue Träger?

Einst sollten die Büros für architekturbezogene Kunst in den DDR-Bezirksstädten die Synthese von Architektur und Bildender Kunst befördern und damit, nach den Jugendsünden im Wohnungsbauprogramm der DDR, ein wenig heilsam wirken. Das staatlich getragene Büro für architekturbezogene Kunst in Berlin-Buch, dem eine Vielzahl von Einrichtungen organisatorisch unterstand, darunter die Galerie »Weißer Elefant«, wurde nach einem Magistratsbeschluß mit Wirkung zum 14. Juni abgewickelt. Nun sollen die Werkstätten und Ateliers in den ehemaligen Ställen und Lagerhäusern, die für die Künstler ideale Voraussetzungen bieten, als »Künstlerhof« einen neuen Träger finden. Die beiden Künstlerverbände konkurrieren mit einer von Philipp Morris bezahlten Agentur. Ein Bericht von Dorothee Hackenberg

Sie diskutieren wie ein Immobilienmakler!« regt sich eine Künstlerin auf. Der so gescholtene, ein beflissener Pfeifenraucher mit rötlichem Bart, der entfernt an einen englischen Gentleman erinnert, hatte gerade vor »armseligen, kleinteiligen« Lösungen gewarnt. Würden die insgesamt 40.000 m2 nicht »bespielt«, so wäre das Ganze »vertanes Land«. Gemeint ist das soeben an das vereinte Deutschland gefallene, einst dem Magistrat unterstellte Gelände mit seiner Verwaltung »Büro für architekturbezogene Kunst«. Der es in Zukunft so gern bespielen will, heißt Gustav Reinhard und war einst Leiter der Bildhauerwerkstätten im Wedding. Er wurde geschaßt, als er anläßlich einer Ausstellungseröffnung, bei der Stipendiaten des Sponsors Philip Morris ihre Werke zeigten, sich mit seinem Vorgesetzten über die Frage des Hausrechts handgreiflich verkrachte. Die fristlose Kündigung Reinhards durch den Berufsverband Bildender Künstler (BBK) quittierte Philip Morris mit dem Rückzug seines Sponsorings. Hintergrund dieser »Einmischung in Personalangelegenheiten« (BBK) war eine übernervöse Reaktion auf Künstler, die am Ausstellungsabend mit Flugblättern gegen die schwulenfeindliche Politik des Mutterkonzerns in den USA demonstrierten.

Nun hat der freischwebende Reinhard eine Agentur namens »concetto« gegründet. Wichtigster Auftraggeber ist — Philip Morris. Vordringlichstes Ziel: einen neuen Ort für Kulturförderung in Berlin ausfindig zu machen. Genauer, so Reinhard: »Nennt uns Orte, die schon eine Struktur haben, wo wir mit unseren Fördermillionen reingehen.« Ein solcher Ort könnte Buch sein. Doch auch die Künstlerverbände beanspruchen den Ort als Dienstleistungsbetrieb für die Gesamtberliner Künstlerschaft. So kommt es, daß in Buch einstige Kollegen gegeneinander antreten.

In einer Runde mit Bezirkspolitikern, Vertretern der Verbände, Reinhard und dem Kultursenator hatte Dieter Ruckhaberle, Chef der Geschäftsgruppe Bildende Kunst in den IG-Medien, die rettende Idee: Die Künstlerverbände sollen sich mit Reinhard verständigen. Doch zwischen einer, vorwiegend Stipendiaten vorbehaltenen Konzeption einer »Villa Massimo«, wie sie Reinhard vorschwebt, und den Werkstätten und Ateliers in Künstlerselbstverwaltung, die die Verbände befürworten, liegen mehrere Pfeifenlängen.

Der Direktor wird an die Wand gespielt

Freitag, 31. Mai. Ganz in Schwarz, mit dunkler Sonnenbrille, sitzt Direktor Horst Prochnow im warmen Sonnenschein am Eingang und wartet auf die Senatsdelegation. Kultursenator Roloff-Momin (SPD-nah) hat sich zur Besichtigung und zum Gespräch mit Künstlern und Personal in Buch angemeldet. Prochnow hatte in der Vergangenheit bemängelt, daß der Senator »das Bucher Unternehmen ja überhaupt nicht kennt«. An seiner, ohnehin von Abwicklung betroffenen, Verwaltung laufen die Verhandlungen mit den künftigen Nutzern vorbei. Gustav Reinhard, der im Auftrag von Philip Morris eine Konzeption zur Senatsvorlage erarbeitet, geht in Buch aus und ein; schließlich hat er ein Atelier gemietet. Das führt zu grotesken Situationen. Beim Lokaltermin wenige Tage vorher kommt der Direktor in Koordinationsschwierigkeiten. Während er meine Fragen beantwortet, müßte er gleichzeitig dem Feuilletonchef vom 'Tagesspiegel‘, den Reinhard überraschend mitgebracht hat, im Auge behalten. So werde ich Zeugin eines Schauspiels, wie Prochnow, der elf Jahre lang als Vize und seit letztem Jahr als Direktor die Bucher »Einrichtung« geleitet hat, von Reinhards erhitzter Argumentation an die Wand der Werkstatt gedrängt wird. Und Schulz vom kritischen, großformatigen Blatt steht ungerührt dabei. »Es geht hier nicht um Arbeitsplätze, es geht um Qualität.«

An jenem Freitag, an dem der Senator kommt, laufen die Verträge mit den Künstlern aufgrund der bevorstehenden Abwicklung aus. »Spät, aber nicht zu spät«, wollte Roloff-Momin das weitläufige ehemalige Gutshofgelände mit seinen umfunktionierten Stallungen persönlich in Augenschein nehmen. Einen Schlachtplan für die nächsten Wochen hatte er schon in der Tasche. Mit Prochnow und Roloff-Momin an der Spitze setzt sich die Delegation in Bewegung. Hier bewundert man die Maschinenteile in der Schlosserwerkstatt als »RGW-Abzweigung«, da eine teuer sanierte Fensterfront. 12 Millionen Mark hatte die DDR über acht Jahre hinweg in den Ausbau der Pferde- und Kuhställe als Werkstätten und Ateliers gesteckt. Erst vor zwei Jahren konnte man die Werkstätten beziehen. Als schnelle Lösung war darum eine Turnhalle aus dem Wohnungsbauprogramm geordert worden, um sie sogleich als Großatelier und Mehrzweckraum zu verwenden.

Der »HAG« ging mit der Vereinigung

Hier entstanden große Reliefs, Übertragungsarbeiten für Giebel, die Kunstkonzeptionen für die Neubaugebiete und die Kunstausstattung der Ostberliner U-Bahnhöfe. »Die Lebenswelt des Menschen, des sozialistischen Werktätigen in seinen verschiedenen Seinsebenen so zu gestalten, daß er sich in ihr einzurichten und sich wohlzufühlen vermag«, verlangte das Zusammenspiel von Architekten, Bildenden Künstlern, Formgestaltern u.a. Eher abschreckendes Beispiel für solcherlei »Bekunstung, wo man noch was raufhübschen soll«, so Bildhauer Günter Thüre, ist Walter Womackas Großwandmosaik am Haus des Lehrers, die »Bauchbinde«. Wieviel Gestaltungsfreiheit der Künstler am Bau hatte, »kam auf die Größenordnung an«, sagt Thüre, der im Werkstättenbeirat des Bucher Büros an der Auftragsverteilung an die Künstler mit beteiligt war. »Wir waren bemüht, in den Wohnungsbauprogrammen möglichst früh einbezogen zu werden, damit sich vernünftige Räume entwickeln und ein Brunnen einen Platz beherrscht und nicht irgendwo abgestellt ist.« Zehn Jahre hatte Thüre in Buch sein Atelier, »hier konnte ich ungehindert mit der Motorsäge arbeiten«. Mit dem Wegfall der Strukturen ging auch der Brötchengeber. »Der HAG, der Hauptauftraggeber Berlin, ist weg.« Sein dreiteiliges Relief für das Griesinger Krankenhaus in Köpenick lagert fertig in der Halle. Ob es jemals angebracht wird, ist unklar. Der Plattenbau wurde gestoppt.

Heute arbeiten in Buch dreißig KünstlerInnen, vorwiegend aus West-Berlin. Die Miete ist auch für Ost-Künstler erträglich, doch die haben momentan wohl mehr mit ihrer Existenzsicherung zu tun.

In den Umkleideräumen der Turnhalle, die zu Kleinateliers umfunktioniert wurden, begegnet Roloff-Momin seiner Vergangenheit. »Hallo, Herr Senator, wir kennen uns«, begrüßt den Ex-Präsidenten der HdK eine der Studentinnen, der er damals per Vertrag mit dem Bucher Büro ein Atelier vermittelt hat. Fünf Künstlerinnen arbeiten in einem Gemeinschaftsatelier, »unter provisorischen Bedingungen«, entschuldigt Prochnow, aber Roloff-Momin korrigiert, »solche idealen Bedingungen finden sich derzeit fast nirgendwo«.

»Diese ewige Eierei«

In einem größeren, hellen Raum schnitzt eine Künstlerin an einer überlebensgroßen Figur. »Soviel Platz ist absoluter Luxus«, konzidiert der Senator streng. »Aber ich muß doch zurücktreten können, um die Wirkung zu berechnen«, meint die Bildhauerin entsetzt. Ein winziges Atelier ist blitzsauber und leer, »besenrein« übergeben. »Der Herr Stephanowicz hat sein Atelier ordentlich zum 31. Mai geräumt«, sagt Prochnow. Und ein weißhaariger, alter Mann schimpft mit heiserer Stimme »Diese ewige Eierei ... blöde Säcke!« dem Mann im violetten Seidenhemd hinterher. Der einstige Redakteur der 'Bildenden Kunst‘ will jetzt zu kleineren Formaten zurückkehren, die er auch zu Hause malen kann.

Doch die KünstlerInnen dürfen — im Gegensatz zum Großteil der Angestellten — vorerst bleiben, bis sich der Kultursenator für einen Träger und damit für die künftige Art der Finanzierung entschieden hat. Mit Wirkung zum 14. Juni gilt das Büro für architekturbezogene Kunst, das zu DDR-Zeiten dem Magistrat unterstand, als abgewickelt. Nach einem Beschluß der damaligen Landesregierung vom 6. 11. 1990 soll der Hof als »Zuwendungsempfänger« in eine neue Trägerschaft überführt werden. Beide bisherigen Bewerber, die miteinander kooperierenden Künstlerverbände BBK und VBK sowie die concetto-Agentur rechnen bislang mit einer sechs- bis siebenstelligen Senatssubvention. Bis Ende Juli, so lautete der Auftrag des von seinem Haushaltsloch gejagten Senators, sollen sie ihre Konzepte nachbessern. Dann soll unter »monetären Gesichtspunkten« entschieden werden. Fest stünde aber, daß der Hof als »Stätte der Bildenden oder zeitgenössischen Kunst« erhalten bleibt.

Alle werden noch mal abgehört

Für die verbliebenen Mitarbeiter, Handwerker und Angestellten, bedeutet die Interimslösung, mit der zwar die Abwicklung, aber keine neue Trägerschaft vollzogen wurde, die Arbeitslosigkeit. Die Bucher kritisieren das »bösartige Gesellschaftsspiel«, daß ihnen einst versichert wurde, eine Überführung in neue Trägerschaft hätte für sie nur formale Konsequenzen, und nun, da das Gegenteil der Fall ist, der Magistratsbeschluß für unanfechtbar erklärt wird. Würde er nicht verwirklicht, so müßte der Senat nämlich sämtliche 47 MitarbeiterInnen wieder anstellen. So sollen jedoch nur einige wenige Verwaltungsstellen, Pförtner und Meister, zur Sicherung des Minimalbetriebes staatlich übernommen werden. ABM-Stellen kann nur der neue Träger beantragen. Man werde aber, so der kommissarisch eingesetzte neue Leiter Richard Dahlheim, einst Vizestadtrat für Kultur im Rusta-Ministerium, auf den künftigen Träger »einwirken«, möglichst viele Buch- Angestellte zu übernehmen. Wieviel Macht und Einfluß die Kulturverwaltung angesichts eines Haushaltsdefizits, das 1995 bei 11 Millionen Mark liegen wird — so der Senator —, auf die Vertragsgestaltung haben wird, ist schwer abzuschätzen. »Im Prinzip ist alles möglich, außer daß es verschenkt oder verscherbelt wird«, sagt Roloff-Momins Sprecher Klemke. »Das walte Roloff, daß der sich nicht auskaufen läßt.«

In sonniger Runde, zwischen Plattenbauturnhalle und roten Backsteinklinkern, wurden anläßlich des Senatsbesuchs in Martiny-bewährter Manier nochmal alle Parteien abgehört. Die Künstlerverbände wollen vor dem Hintergrund des wachsenden Ateliernotstands den »Künstlerhof Buch« als selbstverwaltete Einrichtung der Gesamtberliner Künstlerschaft zur Verfügung stellen. Träger soll die gemeinnützige GmbH des Kulturwerks sein, die bereits die Druckwerkstätten in Kreuzberg, die Bildhauerwerkstätten im Wedding und ein Büro für Kunst am Bau betreibt, womit eine zusätzliche Verwaltung eingespart würde. Zugleich, so argumentieren BBK und VBK, könnte damit ein Dienstleistungsnetz geschaffen werden, das den Abbau an Infrastruktur in Ost und West wenigstens teilweise auffangen kann. Darüber hinaus wünschen sich auch die Verbände private Initiativen, aber keine »Vermengung von Privatinteressen und Trägerschaft«.

Philip Morris sucht eine Infrastruktur

Eben jenem Vorwurf der Vermengung versucht concetto entgegenzutreten mit der Konstruktion einer gemeinnützigen »Kulturprojekt- GmbH« mit einem Beirat und einer Jury, in der »lauter honorige Leute sitzen werden«, welche dann die Künstler, die in Buch arbeiten dürfen, bestimmen. Der Ausbau des Buch-Büros zu einem Multi-Media-Gelände mit Gastronomie soll mit Hilfe von Sponsoren in fünf Jahren bewältigt werden. Ausgehend von einer Million Mark Betriebs- und Personalkosten — die vom Senat aufgebracht werden müßten —, sollten die weitern Investitionen von Privaten kommen. Philip Morris würde nur ein Fünftel beitragen, also nicht mehr als mit seinem ehemaligen Stipendiatenprogramm in den Weddinger Bildhauerwerkstätten.

Die Übernahme der Werkstattmiete sowie ein monatliches Stipendium in Höhe von 2.000 Mark für sechs auserwählte junge KünstlerInnen brachte dem Konzern viel internationales Renommee bei vergleichsweise geringen Ausgaben ein: 62.000 Mark standen im vierjährigen Gesamtförderungszeitraum 400.000 Mark staatlichen und Verbandszuschüssen gegenüber. Die corporate- identity-Strategie, an den Unternehmensstandorten regionale Kulturförderung zu betreiben und sich hier an bereits bestehenden Infrastrukturen »anzuhängen«, hat sich in München, Berlin und neuerdings Dresden bewährt. Für alle drei Orte erarbeitet die Zwei-Mann-Agentur concetto mittlerweile nicht nur die Konzepte, sondern ist für die gesamte Durchführung — Ausschreibung, Betreuung der Stipendiaten, Auszahlung der Gelder bis hin zur Erstellung der Pressetexte — verantwortlich.

In Buch geht das Engagement offenbar besonders weit. Die Agenturinhaber Stefan Döll und Gustav Reinhard sind nicht nur Gesellschafter in der selbst konzipierten, sich in Gründung befindlichen »Kulturprojekt GmbH«, sie wollen auch deren Geschäftsführer werden. Selbstverständlich wird dann die Agentur einer Mitarbeiterin übertragen. Ein ABM- Projekt für den geschaßten Werkstattleiter? »So gesehen vielleicht«, sagt Gustav Reinhard beim Interview im concetto-Büro in der infonte-Galerie. »Aber was ist daran unmoralisch, was ist daran verkehrt?«

Unmoralisch könnte es für den Senat sein, nach dem Motto »der Staat sichert die Deutsche Oper, Sponsoren kommen und bestimmen, wer singen darf« (Ruckhaberle). Roloff-Momin möchte von den Sponsoren eine verbindliche Finanzzusage für mindestens fünf Jahre. PR-Chef Breidbach, der sich gerade als Mühlfenzl-Gehilfe im Berliner Rundfunk unbeliebt macht, wollte sie ihm bisher nicht geben. In jedem Fall will der Senator mit Ost- und Frauenquote im zukünftigen Künstlerhof »Signale gegen Kolonistenmentalität« setzen. Vielleicht, damit es anderswo keine Taten braucht.

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