Jenseits von Currywurst

■ Auch die vielgeschmähte Imbißkultur kann durchaus zum geschmacklichen Ereignis werden. Voraussetzung ist dabei Phantasie und kulturelle Vielfalt, wie sie unsere Reporterin in New York fand.

Auch die vielgeschmähte Imbißkultur kann durchaus zum geschmacklichen Ereignis werden. Voraussetzung ist dabei Phantasie und kulturelle Vielfalt, wie sie unsere Reporterin in New York fand.

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rritiert starre ich auf die riesige Schüssel mit dem roten Glibberzeug. Es handelt sich zweifelsfrei um Rote Grütze. Nichts gegen Rote Grütze, aber an dem ersten New Yorker All-You-Can-Eat Mongolian Buffet an der Second Avenue/St. Mark's Place hätte ich sie nicht erwartet. Aber sie schmeckt hervorragend, wie auch die — etwas mongolischer wirkenden — hauchdünnen Fleischscheiben, die frischen Sojasprossen, die Stückchen unidentifizierbarer Meerestiere oder die fischgefüllte Maultasche aus Reismehl, die zwei eifrige Mongolen vor den Augen der Besucher auf einer großen, runden und glühenden Herdplatte zurechtbraten.

Wir befinden uns in einer Metropole, zweifellos: mongolische Buffets, tibetanische Restaurants, karibische Grillerias, chinesische Imbisse, koschere Hamburger-Stationen, japanische Sushi-Bars, russische Strandcafés, die solch köstliche Dinge wie Borschtsch oder Blinis mit Kaviar servieren, oder mexikanische Trattorias, die gefüllte Maismehltaschen, Chili con Carne und schwarze Bohnen anbieten — in der Hauptstadt der Welt gibt es so etwas an jeder Ecke, nahrhaft und billig. Dort ist — anders als im diesbezüglich provinziellen Berlin — niemand gezwungen, den kleinen Hunger mit Currywurst und Döner Kebab zu stillen.

Schon morgens hat man in Manhattan die Auswahl zwischen traditionellem amerikanischem Frühstück oder einem der unzähligen Frühstücksbuffets, wo meterweise Schalen mit eingelegten Krabben, gebratenen Hühnerbeinen, frischen Ananas, überbackenen Tortellini, Tomaten oder kleingehackten Karotten aneinandergereiht sind. Dort kann man sich für vier Dollar das Pfund das Morgen- oder Abendmahl zusammenstellen. Noch günstiger im Preis- Leistungs-Verhältnis sind die All-You- Can-Eat-Buffets, die zwischen fünf Dollar (am Tag) und zehn Dollar (nachts) rangieren.

Das traditionelle amerikanische Frühstück ist weniger exotisch, aber dafür reichhaltig: Eier in jeder Variation — gebraten, gerührt, gekocht, als Omelett, mit Schinken, Pilzen, Brokkoli oder Käse, Bratkartoffeln und Toast. Unverzichtbar sind Bagels, runde Brötchen mit einem Loch in der Mitte, mit Creamcheese bestrichen. Serviert werden auch Pancakes, Buchweizenpfannkuchen mit süßer oder salziger Füllung. Angenehm: Man bezahlt nur eine Tasse Kaffee und bekommt die zweite umsonst nachgeschenkt.

Zur Lunchzeit — von 12 bis 16 Uhr — bieten die meisten der einfachen New Yorker Restaurants, vor allem die chinesischen, ihre Gerichte preiswerter an als abends. In Chinatown bekommt man die Portion Chop Suey, Hühnchen mit Reis, oder Dumplins, eine Art chinesischer Maultaschen, schon ab vier Dollar. Eiswasser, Tee und ein wenig Obst gibt es umsonst dazu. Suppen oder kleine Vorspeisen wie ausgebackene Krabben kosten zwischen einem und zwei Dollar. Koschere Hamburger, Fritten, Cola und Donuts — das sind Pfannkuchen mit einem Loch in der Mitte — verkauft Kosher's Delight am Broadway. Aber auch den gewöhnlichen Hamburger einer weltumspannenden Fast-Food-Kette gibt es natürlich stadtweit, sogar in cholesterinarmer Ausführung. Etwas teurer sind die kleinen Italiener um die Ecke, mit einer Ausnahme: Die Riesenräder verschiedener Pizzasorten, die tortenstückweise so um die zwei Dollar verkauft werden und von denen schon eines ganz schön satt macht.

Die vielen preiswerten Eßstätten dienen nun aber nicht dazu, die Touristen zum Staunen zu bringen, sondern die große Masse der in den umliegenden Hochhäusern jobbenden New Yorker flächendeckend mit Futter zu versorgen — etwas, dessen Fehlen in der hiesigen Hauptstadt der Kulturmimosen und Lebenskünstler schmerzlich bewußt wird. Hier werden schon die Standorte besserer Bratwurstbuden als Geheimtip gehandelt. Aber wir sollten unserem Heimatdorf nicht ganz unrecht tun: es gibt auch in Berlin zunehmend indische und chinesische Imbisse — aber mit welchen Preisen! Unter acht Mark das Tagesgericht oder elf bis zwölf Mark am Abend läuft nirgends etwas, auch wenn der Laden aufs einfachste mit Plastikstühlen und Resopaltischen ausgestattet ist.

Amerikanische Verhältnisse will das hiesige, kürzlich eröffnete Restaurant Sandwich Company am Kurfürstendamm schaffen. Dort werden Sandwiches mit Pastrami — eine Art Corned Beef — Roasted Turkey oder Ham and Cheese in erfreulicher, dem Original nahekommender Üppigkeit serviert, und auch mexikanische Tacos, Hamburger und Omelettes fehlen nicht. Aber zum einen bekommt man das fertig belegte Brot an den Tisch serviert, während man im Mutterland sich die Zutaten, die Brotsorte und die Soße einzeln aussuchen darf. Zum anderen bewegen sich die Preise der Köstlichkeiten zwischen zehn und siebzehn Mark pro Stück, was die New Yorker Preise locker um 100 Prozent überbietet. Und außerdem: Wer von der arbeitenden Bevölkerung fährt denn zum Lunch an den Kurfürstendamm? Eva Schweitzer