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armbiersuppe und Kutschertopf

Die Erwähnung Berliner Kulinaria ruft bei postmodernen Gourmets, die von italienischen oder neudeutschen miniportionierten Köstlichkeiten verwöhnt sind, gemeinhin ein abfälliges Naserümpfen hervor. Und dennoch hat sie sich allen Cholesterinwarnrufen zum Trotz gehalten: die Berliner Küche.

Auf die Spuren des Eisbeins begab sich MANFRED KRIENER

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as haben Marlene Dietrich und Heinrich Kleist gemeinsam? Ihre Lieblingsspeise: Eisbein! Ob die Dietrich ihre märchenhafte Figur diesem Fleischgebirge verdankt, muß allerdings stark angezweifelt werden. Dennoch war sie in ihrer Berliner Zeit dem „Kniebein“ des Schweins mit Haut und Haaren verfallen. Eisbein heißt es übrigens nur deshalb, weil den Kindern aus den übriggebliebenen Knochen schlittschuhartige Kufen geschnitzt wurden. Unbekannt ist, ob die Schauspielerin ihr Eisbein klassisch in gekochter Version mit Erbspüree und Sauerkraut aß, womöglich vorweg mit einer Warmbiersuppe einleitete, während ihr Begleiter einen „stolzen Heinrich“ niedermachte. Ebenso bleibt unklar, ob das Dietrichsche Eisbein noch Ähnlichkeit mit dem hatte, was uns Sonderangebotskultur und EG-Sauenhalter heutzutage servieren.

Auf jeden Fall hat das Eisbein die Nouvelle Cuisine ebenso unbeschadet überstanden wie den um sich greifenden Vegetarismus. Es gilt noch immer als das typischste Gericht der Berliner Küche und steht als Inbegriff der Freßlust auf ungezählten Speisekarten. Da fragt sich mancher: Was muß das für eine Küche sein mit solch einem brachialen Aushängeschild? Und vor allem: Wo finden wir diese Küche?

Vielleicht in der Meinekestrasse, wo mit „Hardtke“ und dem „Gasthaus Meineke“ gleich zwei Sachwalter der Deftigkeit mit viel Zille-Nostalgie und Alt- Berliner Nippes in Tradition machen? Bei „Hardtke“ demonstrieren schon die dicken, fetten Würste in den Auslagen, daß hier kein Platz für schwächliche Esser ist. Drinnen empfangen uns schwere kohlige Gerüche, dichter Nikotin-Cirrus, Bierkrüge auf allen Tischen, eine Busladung rotgesichtiger Touristen und die bekannte Berliner Gastfreundlichkeit: „Nischt mehr frei“, blafft die Kellnerin, und der Ober behandelt uns wie (Berliner) Luft. Also ab ins „Gasthaus Meineke“, dessen Küche „ohne Fehl und Tadel“ der Reiseführer ausdrücklich empfiehlt. Hier gibt es Platz, eine freundliche Kellnerin und: Eisbein.

Die Platte erinnert an amerikanische Flugzeugträger, in der Mitte thront ein Fleischturm, der etwas Erbspüree, Sauerkraut und drei Salzkartoffeln unter sich begraben hat. Dem Kunstwerk entströmen durchaus wohlige Gerüche, aber das Fleisch schmeckt enttäuschend fad, mit Ausnahme der äußeren dicken Fettschicht. Und die droht dem mutigen Esser mit Gallenkolik. Das Kraut ist überwürzt, Erbspüree und Kartoffeln passabel. Darf man bei diesen Mengen und diesem Preis mehr erwarten?

Typische Berliner Gerichte sind — außer Eisbein — kaum zu finden. Dafür ist im „Meineke“ ein Buffet in der Tradition der Alt-Berliner Küche aufgebaut. Frischer Hackepeter, Sülze mit Zwiebeln, saure Gurken und Soleier, Rollmöpse, Schlackwurst und Griebenschmalz werden angeboten — mehr Reminiszenz als gute Küche. Dazwischen liegt einsam eine plastikeingeschweißte Stangengurke.

Wenn das Fontane wüßte, der noch von Dill, Morchel und Teltower Rübchen aus märkischen Fluren schwärmte, jener Speisekammer Berlins, deren karge Sandböden manchen Rohstoffen einen besonders zarten Geschmack geben sollen. Auch von prächtigen Fetthammelherden schrieb der Dichter, von Gerste, Graupen und Malz, Honig und Milch, die im Berliner Hinterland besonders gut schmecken sollen. Also ein zweiter Versuch, bei „Max und Moritz“ in der Oranienstraße.

Nicht nur das Ambiente, auch die Speisekarte ist hier interessanter. Als Alt-Berliner Gerichte werden unter anderem „Hoppel-Poppel“ angeboten, das sind Bratkartoffeln mit Streifen aus Schnitzelfleisch, sowie Königsberger Klopse, eine Schlachteplatte mit Wellfleisch und die berühmte Berliner Kartoffelsuppe. Wir nehmen Bollenfleisch (Lamm) in Kümmelsahnesauce mit Petersilienkartoffeln und die Kohlroulade mit Speck, und — es schmeckt. Solide Hausmannskost, durchaus deftig, durchaus preiswert, beendet mit einem köstlichen, aber leider elsässischen Himbeerbrand.

Das Erbe des berühmten Berliner Metzgermeisters Cassel aus der Potsdamer Straße, der den gleichnamigen gepökelten Braten kreiert hat, war im „Max und Moritz“ nicht zu finden. Vielleicht liegt das daran, daß beim Kasseler die Leute eher an Kassel, denn an Berlin denken. Aber vielleicht finden wir ihn ja woanders. Im „Neubrandenburger Hof“ zum Beispiel.

„Hamse dichtjemacht, jibt's nich mehr, hier kocht jetzt 'n Chinese“, wird uns verraten. Und dann beginnt das große Suchen. Von „Hühner-Gustl“ zur „Gemütlichen Ecke“, von „Juhnkes Bierbar“ zum „Lustigen Zecher“. Einmal quer durch Friedrichshain und überall dasselbe: nervige Spielautomaten, lausig- schlechte Luft, gelbe Gardinen, Bierdunst. Gasthäuser, wie sie nur noch von Neuköllns berüchtigten Eckkneipen übertroffen werden. Hungrig und müde enden wir schließlich in einer Bierstube, die Eisbein und Kasseler Braten mit Kartoffelklößen anbietet. Über das, was dann — salzig und matschig — auf dem Teller lag, soll hier der Mantel der Nächstenliebe ausgebreitet werden. Ungenießbar.

Und dabei waren die Berliner einstmals — zumindest in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts — berühmt für regelrechte kulinarische Höhenflüge. Speckgänse aus Riga, Austern aus England, Kaviar aus Rußland wurden importiert. In den Gründerjahren folgte dann eine Zeit exotischer Prasserei. Kraftbrühe mit Büffelmark, Zebuschwänze, grönländische Stachelrochen mit Lamabutter und norwegische Walderdbeeren sollen damals auf den Menükarten gestanden haben. Und heute? Nicht einmal ein anständiges Kasseler!?

Probieren wir es ein bis zwei Klassen nobler in der „Restauration Mark Brandenburg“ im Dom-Hotel am Gendarmenmarkt. Das neue Restaurant ist ein auf edel getrimmter Mahagoni-Tempel mit erstaunlich viel Personal. Mittendrin sitzt ein Klavierspieler und sorgt für Tafelmusik live. Keine Angst: Sein „Killing me softly“ kündigt keine fetttriefenden Schweinehälften an. Eisbein steht hier zwar auch auf der Karte, aber ansonsten ist die Berliner Küche zur märkischen erweitert: Rinderschmorbraten mit Backpflaumenspecksauce, Porree und Kartoffelklößen, Flugente mit Rotkohlroulade und grünen Nudeln, Kalbsfrikassee Stettiner Art. Die geschmorte Lammkeule mit grünen Bohnen und Kartoffelplätzchen schmeckt ausgezeichnet, nur die Kräutertomate hat vermutlich nie die frische Luft geatmet und schmeckt nach jenen holländischen Wasserbällen, die noch immer ungestraft als Tomaten verkauft werden. Die Preise für diese Gerichte sind erstaunlich niedrig, nur der Flaschenwein ist zu teuer. Hier sollte man auf die guten offenen Weine ausweichen. Der Höhepunkt: drei kleine Eierkuchen mit Zimtschaum und Birnenspalten. Zum Reinlegen!

Wen die Bücklinge der Ober und das übliche gestelzte Getue solcher Lokalitäten nicht stören, der wird hier sehr gut essen, wenn auch nicht auf die klassische Berliner Art. Aber bei manchen Dingen ist eine Distanz zu den Berliner Ur-Formen durchaus angezeigt. Über den Berliner Wein etwa sagte Friedrich Engels: „Er ist ganz wunderbar, nur kann er leider nicht in Fässern aufbewahrt werden, weil er das Holz entzweifrißt.“ In guten Jahren soll sein Abgang so kolossal gewesen sein, daß „der Hals vier Wochen lang wund ist“. Da loben wir uns den Franzosenwein.

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