Wenn der IWF in Moskau einzieht ...

In Harvard präsentiert das US-sowjetische Ökonomen-Team um Grigori Jawlinski seinen Reformplan für die Sowjetunion Weltbank und IWF wären für Überwachung verantwortlich/ Bush-Regierung lehnt jährliche Hilfe von 30 Milliarden Dollar ab  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Der Plan ist Wunschdenken und Diskussionsgrundlage zugleich. Nach wochenlangen Beratungen hat das US-sowjetische Ökonomen-Team unter der Leitung des Jelzin-Beraters Grigori Jawlinski am Freitag an der Universität von Harvard ihr bereits vor dem Erscheinen vielzitiertes „Grand Bargain“ vorgestellt: Den definitiven Plan zur marktwirtschaftlichen Reform der Sowjetunion mit westlicher Hilfe.

Der Jawlinski-Plan koppelt die westlichen Finanzhilfen von jährlich 20-35 Mrd. Dollar (35-60 Mrd. DM) an die Durchführung mehrerer Reformschritte in der Sowjetunion: die Konvertibilität des Rubels, die Aufhebung von Preiskontrollen, Privatisierung, Budgetkontrolle sowie das Versprechen demokratischer Wahlen. Das Werk des US—sowjetischen Ökonomen-Teams soll jetzt US-Präsident Bush vorgelegt werden, ehe Jawlinski mit dem Papier in der nächsten Woche nach Moskau zurückkehrt.

Das Traumziel des aus namhaften Volkswirtschaftlern bestehenden Jawlinski-Teams wäre erreicht, würde ihr Plan auf dem Londoner Wirtschaftsgipfel Mitte Juli diskutiert werden. Dem steht allerdings das Bemühen der Bush-Administration entgegen, die Wirtschaftsreformen in der UdSSR nur in einem „Schritt-für-Schritt-Prozeß“ (Baker) mit praktischer Hilfe zu begleiten, ohne sich dabei zu massiver Finanzhilfe zu verpflichten.

Phase eins des „Grand Bargain“ sieht in den ersten zweieinhalb Jahren westliche Finanzhilfen von rund 30 Milliarden Dollar vor, die an eine graduelle Anpassung des Rubels an westliche Währungen, die Aufhebung von Preiskontrollen, Privatisierungen im kleinen Umfang und Maßnahmen zur Einschränkung des Haushaltsdefizits gebunden sind. Darüber hinaus versprechen die Sowjets, überall demokratische Wahlen durchzuführen und erhalten dafür eine assoziierte Mitgliedschaft bei der Weltbank und dem Internationalen Weltwährungsfonds, die für Durchführung und Überwachung des Planes verantwortlich wären.

In der dreieinhalbjährigen Phase II des Jawlinski-Plans soll dann die vollständige Konvertibilität des Rubels hergestellt, alle Preiskontrollen abgeschafft und Mammut-Privatisierungen durchgeführt werden. Die Autoren, unter ihnen der Architekt der polnischen Wirtschaftsreformen, Jeffrey Sachs, versuchen, die Lehren aus dem polnischen Experiment zu ziehen. Deswegen sollen die Hilfsgelder nach dem zu erwartenden Produktionsabfall in erster Linie für die notwendigen Lebensmittelimporte und für die Unterstützung der Arbeitslosen eingesetzt werden. In Phase II würden die Westgelder dann zur Stützung des neukonvertierten Rubels benötigt. Der Kopfgeburt des 39jährigen Jawlinski liegen allerdings eine Reihe fragwürdiger Annahmen zugrunde. Sowohl die privaten Banken, von denen ein beträchtlicher Teil der westlichen Hilfe kommen soll, als auch die als Großspender anvisierten Japaner zeigen im Augenblick wenig Neigung, ihre Dollars und Yen an das zerbröckelnde Riesenreich zu verleihen: die Banken, weil ihnen neue riskante Kreditabenteuer das Genick brechen könnten; die Japaner, weil sie zuerst auf der Rückgabe der von der Sowjetunion besetzten Kurileninseln bestehen. Über deren Status war auch bei Gorbatschows jüngstem Besuch in Tokio keine Einigung erzielt worden.

Während die Bundesrepublik, Italien und Frankreich Finanzhilfen an die Sowjetunion auch in der vorgeschlagenen Höhe nicht völlig ablehnend gegenüberstehen, möchten Japan, Großbritannien und die USA erst konkrete Wirtschaftsreformen sehen, ehe sie in die Taschen greifen.

In den USA hat sich gerade eine konservative Allianz gegen die Rettung des Kommunismus durch den Steuerzahler gebildet. Andere Konservative knüpfen Finanzhilfen an politische Forderungen wie die völlige Einstellung der Sowjethilfe an Kuba, Unabhängigkeitsgarantien für die baltischen Staaten sowie eine drastische Reduzierung des sowjetischen Rüstungssektors.

Präsident Bushs Politik wird dagegen von dem Wunsch bestimmt, seine größtmögliche Unterstützung vor Gorbatschow zu signalisieren, ohne sich dies jedoch etwas kosten zu lassen. Die Bush-Administration wird deswegen versuchen, den am Freitag in Harvard vorgeschlagenen „Grand Bargain“-Plan rasch in ein realpolitisches „Mini-Angebot“ aus technischer Hilfe, Getreidekrediten, Weltbankkooperation und Zusammenarbeit bei der Ölexploration zu verwandeln. Dennoch wird der Jawlinski-Plan bei den kommenden Gesprächen auf dem Londoner Wirtschaftsgipfel einen wichtigen Bezugspunkt für die Diskussion über die Hilfe des Westens beim Umbau der Sowjetökonomie in eine marktwirtschaftliche Ordnung darstellen.