Das zuckende Autoherz

■ R.A.M.M.-Theater mit »embryonal evolutionärer Stauforschung« vor dem Martin-Gropius-Bau

Im Kapitalismus ist der Stau Sinnbild der herrschenden Gesellschaftsordnung. Während man ihn von links gerne als Vefallssymptom des Systems begreift, fordern rechtspopulistisch ADAC, Republikaner und Boulevardpresse den weiteren Ausbau des Straßennetzes, kann die 'FAZ‘ in ihrem Wochenendkommentar auf der ersten Seite dem Stau durchaus auch Positives abgewinnen: Denn »nirgendwo sonst als auf den deutschen Autobahnen kann das tiefe Gefühl einer verlorengegangenen Solidarität innerhalb einer geschlossenen Gruppe ähnlich direkt erlebt werden«. Staukarten, Staukalender, staugerechte Ernährung und Stauberater helfen den BürgerInnen den Stau zu vermeiden oder im Stau mit »bedarfsorientierten Staugesprächen« diverse Agressionsstaus abzubauen. »Und für Kinder werden zum Zeitvertreib Staugespräche ersonnen.«

Eine etwas archaischere Vorstellung vom Stau dagegen hat die Theatergruppe R.A.M.M., die mit ihrer »embryonal evolutionären Stauforschung« am Samstag hinterm Gropiusbau auftrat. Der Verkehrsstau ist ihnen konkretes Symbol einer Gesellschaft, deren beschränkte Ökonomie die Opfer nur verschämt erbringt. Statt Menschenopfer zu kaschieren, feiern sie festlich die Zerstörung der Dinge.

Hupend, hochgetourt in den ersten Gängen schieben sich ein paar Autos zentimeterweise und böse voran. Über Lautsprecher hallen Verkehrsnachrichten, industrielle Musikklänge, menschliche Schreie, und auch mal die Stimme des Kindermörders Jürgen Bartsch (?) begleitend über den Platz. Autos krachen aufeinander. Wilde Agressionen brechen heraus. Jackett und Hemd legen die Männer ab, um mit Spitzhacke und Knüppeln aufeinander zuzugehen. Das Ziel der Wut ist nicht so sehr der menschliche Gegner, sondern sein Auto. Befreit scheren sich die Autobesitzer in ihrer Wut nicht mehr ums eigene Gefährt, sondern bearbeiten konzentriert mit Kreissäge, funkensprühend das andere. Der Brust des Autos wird der Motor entrissen. Das zuckende Autoherz an der Angel eines wild herumrennenden Künstlers verschreckt die zahlreichen Zuschauer. In die Wunden der Autos werden Tannenbäumchen gesteckt. Ein paar mit Benzin übergossene Bündel flammen auf. Wasser spritzt und ein wenig erinnert das Geschrei und Getöse an Selbsterfahrungsgruppen, die ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben.

Wo alles schreit, wo das Auto geopfert wird, ist die nackte Frau nicht fern. Mit roter Farbe übergossen, in schwarzem Unterzeug, das Slipbändchen zwischen den Pobacken, zerrt sie entgeistert noch eine Weile am toten Gefährt, dann klatscht begeistert das Publikum und macht sich im Auto auf den Heimweg.

Schön ist die Autozerstörung in der Kunst, schöner noch scheinen dem Ästheten die wirklichen Auffahrunfälle und besonders schön ist die Idee eines Künstlers der viele kleine handliche Steinkugeln hergestellt und in New York verteilt hat. Den Menschen sollen sie dazu dienen, sich auch einmal spontan am Auto zu rächen. Ein paar dieser Kugeln gibt es inzwischen auch in Berlin. D.K.