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Vorwärts, zurück in die Fünfziger!

■ Oder: Wir wollen unsre gute alte SED(CSU) wiederhaben

Drunten in München sitzt es sich jetzt bestimmt gut im Biergarten. Die Kastanien rauschen sacht überm matten Haupt; Wespen, Dackel und grantige Bedienungen umspielen den Trinker, und wenn doch Streit aufzukommen droht mit den anderen Zechern, wird noch eine Maß bestellt. Die Chronik weiß lange schon von keinem Fall mehr, wo ein Diskutant seine intellektuellen Händel mit dem Nachbarn ausgetragen hätte, indem er ihm nach Vätersitte einen Maßkrug auf dem Schädel zertrümmerte. München im Sommer: ein Vorruhestand.

Den Mittelpunkt dieses Pensionisten-Idylls bildet ein mächtiger eichener Stammtisch. Hier sitzen die Redakteure der 'Süddeutschen Zeitung‘ zusammen, schweigen, trinken, dimpfeln, und wenn Streit aufzukommen droht, wird eben noch eine Maß bestellt. Benommen von dem vielen guten Bier, blicken die Redakteure hinaus in die Welt außerhalb Bayerns und wundern sich, worüber sich die alle in die Haare kriegen können. Nur der alte Brausekopf Joachim Kaiser, von den Kollegen spöttisch-zärtlich „Prof“ genannt, meint manchmal für Unruhe sorgen zu müssen. Müde nicken die andern; Prof hat wieder das Sommerloch ausgerufen.

Bei seinem Namen tut's der Kaiser nicht unter einem Leitartikel. „Die fünfziger Jahre vor Gericht“ schreibt er sich sein Thema vor und die Geschichte um. Adenauers BRD war enormeffektiv, erklärt er seinen trägen Zuhörern, was immer moralistische Publizisten gegen sie einzuwenden hatten. Die Freß-Reise-Dauerwelle war im Recht, denn das durften sich die Bundesrepublikaner durchaus gönnen, zumal sie dazu vollbrachten, was die fünfziger Jahre schließlich auch schafften! Und was wäre das? fragen die anderen den Prof mit der Scheinheiligkeit, die er braucht, um weiterschwadronieren zu können: Fast alle großen, heute noch maßstabsetzenden Schriftsteller, Philosophen und Publizisten unserer Gegenwart begannen mit ihrem öffentlichen Wirken in den fünfziger Jahren. Damals gab es halt noch einen ungeliebten Staat, da konnten die Künstler noch richtig vertrotzt sein, das schafft, wie der Kaiser weiß, Kreativität.

Damals hatte man es noch ganz schön schwer, seufzt er den Jüngeren vor, aber es hat uns nicht geschadet. Möglicherweise bestand in den fünfziger Jahren eine produktive Dialektik zwischen einer zwar harmoniesüchtig restaurativ fühlenden, aber immerhin lebendigen, erschütterbaren, aufgeschlossenen Öffentlichkeit [und, und, na?] — und den Aktivitäten fortschrittlicher Künstler oder Politiker, die [na, was, wie?] vom restaurativen Widerstand immer noch mehr zur Leistung und zur Solidarität provoziert wurden als von der Watte gönnerhafter Gleichgültigkeit. Staunen, Schweigen, Dimpfeln ringsum. Kunst, doziert der Prof weiter, braucht nur ordentlich unterdrückt zu werden, siehe DDR, dann blüht und gedeiht sie in Fruchtbarkeit und Fülle, daß es eine Fünfziger-Jahre-Art hat.

Verstohlen tauschten die Kollegen Blicke, schnell hatten sie sich verständigt: Kaiser ab in die Produktion! Willi Winkler

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