Nordirland-Gespräche begannen in Belfast

Dublin (taz) — Die Mehrparteiengespräche über die Zukunft Nordirlands haben gestern mittag mit sechswöchiger Verspätung begonnen, nachdem sie am Morgen erneut verschoben werden mußten. Erst als das letzte Hindernis — die Frage des Gesprächsleiters für die zweite Phase der Verhandlungen, zu der die Dubliner Regierung hinzustoßen soll — aus dem Weg geräumt war, nahmen die Parteien zum erstenmal seit 16 Jahren am runden Tisch Platz.

Die Wahl zum Verhandlungsleiter fiel überraschend auf Sir Ninian Stephen, den ehemaligen britischen Generalgouverneur in Australien. Stephen, der am Samstag 68 Jahre alt geworden ist, lebt bereits seit den dreißiger Jahren im australischen Melbourne. Er ist Rechtsanwalt und Experte im Verfassungsrecht. Er bezeichnet sich selbst als „völlig unpolitisch“. Das ist vermutlich auch der Grund, warum er für alle Seiten akzeptabel ist: Da er sich noch nie zum Nordirland-Konflikt geäußert hat, konnte er es sich mit niemandem verderben.

Stephen steht vor einer fast unlösbaren Aufgabe. Wie verhärtet die Fronten sind, zeigte gestern früh das erneute Gerangel hinter den Kulissen: Die Unionisten, die für die Union Nordirlands mit Großbritannien eintreten, verzögerten ihr Plazet für Stephen, weil sie noch genaue Erkundigungen über seine Vergangenheit einziehen wollten. Die katholischen Sozialdemokraten (SDLP) weigerten sich daraufhin, mit den Gesprächen zu beginnen, weil sie die Unionisten einer Hinhaltetaktik verdächtigten, um in letzter Sekunde das Treffen zu vermeiden.

Diese zweite Verhandlungsphase ist noch problematischer als die derzeitigen internen Mehrparteiengespräche, da von allen Seiten große Kompromißbereitschaft in symbolbehafteten Fragen gefordert ist. Die Unionisten müssen eine echte Machtbeteiligung der SDLP sowie bestimmte Verwaltungsstrukturen hinnehmen, die für die gesamte irische Insel gelten. Im Gegenzug muß die Dubliner Regierung den in der Verfassung verankerten Anspruch auf Nordirland aufgeben. Doch selbst wenn alle Beteiligten zu Zugeständnissen bereit sind, ist das Problem der Gewalt in Nordirland noch lange nicht gelöst. Die politischen Flügel der paramilitärischen Organisationen beider Seiten, die über einen erheblichen Rückhalt in der Bevölkerung verfügen, sind von den Verhandlungen ausgeschlossen und werden ein mögliches Abkommen zwischen den Gesprächspartnern keineswegs akzeptieren. Das wurde erst am Wochenende wieder deutlich: Am Sonntag verübten protestantische Paramilitärs in Belfast einen Mordanschlag auf einen 38jährigen Katholiken, gestern früh erschoß die IRA einen Reservisten des Ulster Defence Regiment (UDR), der nordirischen Einheit der britischen Armee. Ralf Sotschek