Eine Stadt trainiert für Olympia 2000

■ taz-Serie von Oliver G. Hamm über die Planungen für die Olympischen Spiele/ Teil 3: Stadtplanung und Kosten

Berlin will nicht nur richtige Hauptstadt werden, sondern bewirbt sich auch als einzige deutsche Stadt um die Olympischen Spiele im Jahr 2000. Im März dieses Jahres überreichte der regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen dem Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees die Bewerbung; im September 1993 wird das Internationale Olympische Komitee die endgültige Entscheidung treffen. Wir beenden heute unsere dreiteilige Serie über den Stand der Planungen. Der Autor der Serie hat Architektur studiert und ist Redakteur bei der 'deutschen bauzeitung‘; nach den Problemen der Verkehrswege, der Unterbringung und den Sportstätten beschäftigt er sich heute mit den Auswirkungen der Spiele auf die Stadtplanung und mit den Kosten.

Stadtentwicklung, Landschaft und Umwelt

Die Wettkampfstätten sind in unmittelbarer Nachbarschaft zu »typischen Berliner Stadtgebieten« ausgewiesen: Prenzlauer Berg und Wedding, Mitte und Friedrichshain, Grunewald und Messegelände. Traditionsreiche Sportstätten werden durch neue Anlagen an den Wasserstraßen der Stadt, Spree und Westhafen, in Verbindung zum Treptower Park und Volkspark Rehberge, ergänzt. Die »behutsame Stadterneuerung« soll auf die Bezirke Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain ausgedehnt werden.

Bei den Standorten für olympisches Wohnen handelt es sich um Flächen, die bisher anderweitig genutzt werden oder für die andere Nutzungsvorstellungen bestehen. Diese Flächen müssen bis zur Entscheidung des IOC über die Vergabe der Spiele reserviert werden. Die endgültigen Standorte werden nach Abwägung konkurrierender Interessen und nach den notwendigen Untersuchungen festgelegt. Den jetzigen Nutzern müßten gegebenenfalls Ersatzstandorte angeboten werden. Es ist abzusehen, daß insbesondere in den Wohnbereichen Interessenskonflikte nicht nur zwischen der Olympia-Planung und verschiedenen Investitionsprojekten privater Träger auftreten werden.

Sowohl an den Standorten als auch im Umfeld könnte nach Einschätzung der Freien Planungsgruppe Berlin ein wesentlicher Beitrag zum ökologischen Stadtumbau geleistet werden. So sollen die Flächen des zur Zeit überwiegend militärisch genutzten Schießplatzes Ruhleben nach einer Zwischennutzung renaturiert werden. Die Umstrukturierung des Gebietes Rummelsburger Bucht soll mit anderen Investitionsprojekten dazu dienen, die Spree als innerstädtischen Lebensraum zurückzugewinnen. Die Freiflächen im Bereich Cantianstraße sollen um das Gelände des Eberswalder Güterbahnhofes erweitert werden. Durch die Umgestaltung der Freiflächen in Friedrichshain soll die Vernetzung des innerstädtischen Grünzuges über den Prenzlauer Berg bis nach Hohenschönhausen in Angriff genommen werden. In der Chausseestraße und im Westhafen werden benachbarte Grün- und (soweit vorhanden) Wasserbezüge aufgenommen und ausgebaut. Als Ersatz für die Bebauung vorhandener Freiflächen am Stadion der Weltjugend sollen die Freiflächen im unmittelbar angrenzenden Stadtgebiet erweitert werden.

Der Zuwachs an Wohnungen wird als wichtiger Impuls für die gesamtstädtische Entwicklung gewertet. Tatsache ist aber, daß die Wohnungen jetzt dringend benötigt werden, faktisch aber erst nach dem Auszug der Olympischen Familie im Herbst 2000 zur Verfügung stünden.

Die neuen Grün-, Freizeit- und Erholungsflächen sollen die Attraktivität der Innenstadt erhöhen. Vernachlässigte Stadträume, vor allem im Ostteil der Stadt, sollen qualitativ aufgewertet werden. Die Erstbewertung von Olympia-Standorten, z.B. in Ruhleben, hat ergeben, daß dort teilweise schützenswerte Wald- und Grünflächen vorhanden sind. Andere Flächen, z.B. die Rummelsburger Bucht, sind aber auch erheblich durch Schadstoffe belastet. Mit der Sanierung belasteter Flächen muß unverzüglich begonnen werden; das setzt eine detaillierte Standortbewertung voraus. Diese muß wegen der knappen Zeit spätestens im nächsten Jahr abgeschlossen sein.

Über die Finanzierung der Olympischen Spiele

Nach heutigen Schätzungen, die auf dem Preisindex von 1991 beruhen, rechnen die Olympiaplaner mit Einnahmen von rund 3,9 Milliarden Mark. Diese setzen sich wie folgt zusammen: Fernsehrechte 1,2 Mrd., Lotterien und Münzen 1,9 Mrd., Sponsoren/Lizenzen 600 Mio., Eintrittskarten usw. 200 Mio. Die Durchführung der Olympischen Spiele wird rund 1,5 Mrd. Mark kosten. Für rund 3,2 Mrd. Mark müßten Verkehrswege, Sportstätten und Wohnungen saniert, modernisiert oder neu gebaut werden. Die Finanzierungslücke von 800 Mio. Mark müßte aus Bundes- und Landesmitteln gedeckt werden. Eine genaue Kostenkalkulation ist heute noch nicht möglich.

Veranstaltungen und kulturelles Programm

Die XXVII. Olympischen Sommerspiele in Berlin sollen vom 22. Juli bis 6. August 2000 stattfinden. Vom 20. August bis 2. September würden sich die Paralympics, die Spiele der Behinderten, anschließen. Im Rahmen der Olympischen Spiele fänden außerdem die Session des IOC und mehrere Tagungen der internationalen Sportfachverbände statt; dafür stehen nach heutigen Berechnungen ausreichend Kapazitäten in Tagungsstätten mit 400 bis 8.000 Plätzen zur Verfügung.

Während der Spiele soll auch ein umfangreiches Kulturprogramm angeboten werden. Geplant sind Veranstaltungen in den künstlerischen Disziplinen Architektur, Literatur, Musik, Fotografie, Sport-Philatelie, Theater, Ballett/Tanz, Desing/ Mode und Film. »Berlins einzigartige und charakteristische Kulturlandschaft« und die vielen Grünflächen, Wälder, Seen, Parks, Plätze und Freilichtbühnen böten vielfältige Möglichkeiten für Begegnungen und Inszenierungen. Die Olympiaplaner träumen von der »Stadt als Bühne für künstlerische Beiträge aus aller Welt«.

Schon in den Jahren vor den Spielen sollen Produktionen in den genannten künstlerischen Disziplinen erarbeitet werden und anschließend als »olympische Kulturbotschaften Berlins« auf internationale Tournee gehen. Jährlich stattfindende Festivals könnten ab 1996 auf das neunmonatige Kulturfest im Olympiajahr vorbereiten. Der »Kulturbeirat Olympia 2000« wird in den kommenden Jahren ein detailliertes kulturelles Vorprogramm erarbeiten. Während der XXV. Olympischen Sommerspiele in Barcelona im kommenden Jahr will die Stadt Berlin kräftig die Werbetrommel bemühen; u.a. sind künstlerische Darstellungen renommierter Künstler und eine Ausstellung international bedeutender Exponate aus dem Fundus der Berliner Museen geplant. Doch nicht nur auf kulturellem Gebiet will sich Berlin vor der Vergabe der Olympischen Spiele 2000 mächtig ins Zeug legen. Vor allem internationale Sportveranstaltungen sollen akquiriert werden, um den eigenen Anspruch, eine bedeutende Sportstadt zu sein, zu rechtfertigen. Ziel der Olympiaplaner ist es, die vier neuen großen Sportstätten, die spätestens Mitte der neunziger Jahre fertiggestellt sein sollen (Olympiahalle, Großsporthalle, Radsporthalle und Schwimmhalle, alle im Osten der Stadt), mit bedeutenden Wettkämpfen einzuweihen.

Im übernächsten Jahr wird der Weltkongreß der Sporthistoriker das brisante Thema Spiele der Völker in Berlin veranstalter. Weiterhin ist ein Kongreß Berlin und die Olympische Bewegung vorgesehen. Diese beiden Veranstaltungen wären ein willkommener Anlaß, sich endlich einmal kritisch mit den ersten Olympischen Sommerspielen auf deutschem Boden, den Spielen von 1936 in der Reichshauptstadt Berlin, auseinanderzusetzen. In diesem Punkt gibt der offizielle Bewerbungsband der Stadt Berlin vom März 1991 übrigens ein besonders schwaches Bild ab: Die Spiele von 1936 werden gerade einmal mit drei Sätzen erwähnt: »Im Jahr 1931 entschied das Internationale Olympische Komitee, die Olympischen Spiele für das Jahr 1936 nach Berlin zu vergeben. Diese Spiele fanden leider im Zeichen des Nationalsozialismus statt. Es gab aber auch Ermutigung gegen Rassismus und Unmenschlichkeit, als der Amerikaner Jesse Owens vier Goldmedaillen gewann und zum Liebling des Berliner Publikums wurde.« So leichtfertig darf man mit der Geschichte nicht umgehen! Insofern hat der geschaßte Hans-Jürgen Kuhn doch recht: Es geht nicht ohne gründliche Aufarbeitung der Ereignisse von 1936. Man kann zu den Spielen stehen, wie man will — eine reine Kommerzveranstaltung ohne deutlichen Rückverweis auf die von den Nazis zu Propagandazwecken mißbrauchten Spiele vor 55 Jahren wäre eine Farce.