„Zeitgeschehen — ferngesehen“

■ 30 Jahre „Panorama“ — eine schlappe Jubiläumsnummer am Dienstag in der ARD

Als am 4. Juni 1961 das Politmagazin Panorama offiziell in der ARD startete, herrschte Aufbruchstimmung im jungen Medium Fernsehen. Als Untertitel hieß es damals noch in wunderbarer TV-Lyrik: „Zeitgeschehen — ferngesehen.“ Schnell entwickelte sich Panorama zu einer der profiliertesten Sendungen im öffentlich-rechtlichen System. In der Adenauer-Ära war das von Gert von Paczensky und Rüdiger Proske konzipierte Magazin eine ständige Provokation für das bürgerlich-konservative Lager.

Ex-Panorama-Leiter und heutiger 'FAZ‘-Herausgeber Joachim Fest erinnert sich, daß seinerzeit ein „Hauch von Skandal, der Geruch von etwas tief Ungehörigem, eigentlich nicht Statthaftem“ das Magazin umwehte. Immer wieder war es Gegenstand harscher Kritik und politischer Pressionsversuche. Es hagelte Beschwerden im Rundfunkrat, Zeitungskampagnen, z. B. gegen Paczensky ('Bild‘: „Der Spitzbart muß weg“), und Prozesse bis hin zum Bundesgerichtshof sorgten für Aufsehen.

Die sensationellste Enthüllungsgeschichte, so findet der heutige Panorama-Redakteur Christoph Lütgert, war seinerzeit die Filbinger-Reportage, die das Ende des Politikers mit der braunen Vergangenheit einläutete. Zuletzt sorgte die Aufdeckung des Cerberus-Rüstungsskandals für Furore („eine dolle Recherche“). Der größte Flop war in den 80er Jahren die Sensationsstory um einen angeblichen Barschel-Brief, den die Redaktion nach seinem Sebstmord präsentierte und dessen Echtheit mit zweifelhaften Gutachten belegt werden sollte, gesteht Panorama-Leiter Joachim Wagner heute ein. Bis Mitte der 70er Jahre hatte das NDR-Magazin Einschaltquoten, wie sie heute nur noch Thomas Gottschalk oder Fußball- Länderspiele erreichen: 30 bis 40 Prozent. In der veränderten Fernsehlandschaft sind solche Quoten heute nicht mehr zu machen. Trotzdem ist Wagner stolz, daß Panorama, das sich den Dienstags-Sendeplatz in der ARD mittlerweil mit fünf anderen Politmagazinen — Monitor (WDR), Kontraste (SFB), Report (Baden-Baden und Bayern) — teilen muß, im Quotenwettlauf immer noch vorne liegt. Im letzten Jahr konnte die NDR-Redaktion immerhin noch 17 Prozent der Zuschauer vor den Bildschirm bringen, „zwei Prozent mehr als Monitor“, schwärmt Wagner. Damit war Panorama nach der Tagesschau die meistgesehene politische Informationssendung.

Die Redaktion war zugleich Durchlaufstation vieler wichtiger Journalistenkarrieren. Namen wie Peter Merseburger, der das Magazin acht Jahre leitete, Joachim Fest, Peter Gatter oder Klaus Wildenhahn prägten den Stil des Politmagazins. Stefan Aust, einst einer der eifrigen Panorama-Reporter, macht dem Magazin heute mit Spiegel-TV bei den Privaten Konkurrenz. Während allerorten im Fernsehen an neuen Sendeformen herumgebastelt wird, hat sich Panorama bis heute seinen eher nüchternen angelsächsischen Reportagestil erhalten.

Eindrückliches Beispiel dieser manchmal etwas spröden Form des Nachrichtenjournalismus bot ausgerechnet die Jubiläumssendung. Ohne große Worte kündigte Chefredakteur Wagner in der wie üblich sparsamen Studio-Deko eine Tierschutzreportage an. Untypisch war an dieser historischen Sendung nur, daß der Bericht über die schäbigen Praktiken bei der Beschaffung von Versuchstieren für Forschungslabors der einzige Panorama-Beitrag blieb. 45 Minuten lang dokumentierten die Autoren Kuno Haberbusch und Christoph Lütgert das unendliche Leid vieler Hunde, die von „miesen Typen“ gefangen, gequält und an Labors verkauft wurden. Der sprichwörtliche Biß, den Panorama sich in so manch sensationeller Enthüllungsstory gezeigt hat, hielt sich angesichts der gequälten Kreaturen in Grenzen.

Der Kommentar schwankte zwischen Empörung gegenüber den Pharmakonzernen und Mitleid für die armen Hunde. Am Ende des Rührstücks schien aber auch wirklich jeder schmutzige Hundezwinger und jede eiterige Ohrenentzündung hinreichend beleuchtet. Und die Antwort der wackeren Stuttgarter Tierschutzkämpferin auf die Frage, warum sie das alles mache, schien fast programmatisch für die nächsten 30 Panorama-Jahre: „Wir müssen was ändern!" Ute Thon