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GASTKOMMENTAREKraftprobe

■ Jörg Haider verletzt die ethischen Grundlagen der österreichischen Demokratie

Dieser Tage verlassen die letzten Soldaten der Roten Armee Ungarn und die CSFR. Die östlichen und südöstlichen Nachbarländer Österreichs versuchen, mit dem Erbe des Sowjet- Kommunismus fertig zu werden. In den Ruinen haben sich andere eingenistet: Nationalistische Demagogen ziehen ihre politischen Geschäfte auf. Der FPÖ-Obmann und Kärntner Regierungschef spielt nun Zwischenhändler und Fabrikant zugleich. Jörg Haider hat in der vergangenen Woche mit der positiven Beurteilung der „Beschäftigungspolitik im Dritten Reich“ einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Erstmalig in der Geschichte der II. Republik hat die Bundesregierung deshalb einem Landeschef das Mißtrauen ausgesprochen.

Die Wiederholungstaten Jörg Haiders laufen in dieser theatergeilen Republik nach einem Schema ab: Er stellt die Identität Österreichs in Frage, indem er von einer „ideologischen Mißgeburt“ spricht und damit direkt aus Hitlers Mein Kampf zitiert. Oder, wie jetzt: Er preist die „ordentliche“ Beschäftigungspolitik des Nationalsozialismus, obwohl er weiß, daß dessen Vollbeschäftigung auf KZs, auf Euthanasie, auf Zwangsarbeit, auf massiver Rüstung und auf territorialen Eroberungen, darunter Österreich, basierte. Wenn es dann Proteste hagelt, zieht Haider einige Floskeln aus der Tasche („Wenn es Sie beruhigt, dann entschuldige ich mich halt“), um sich gleich darauf als Verfolgter darzustellen, den man mit Denk- und Redeverbot belegen wolle. Einer „Hinrichtung durch die Medienmafia“ werde er die „Mobilisierung des Volkes“ entgegensetzen.

Auch dieses Mal geht der FPÖ-Chef wieder zum Angriff über, um seine These von der „österreichischen Scheindemokratie“ zu untermauern. Damit aber behandelt Haider die Zweite Republik so, als wäre sie die Erste. Und er sucht einen Prozeß zu beschleunigen, der bereits unter Bruno Kreisky begann und im Gefolge der Wahl Kurt Waldheims fortgesetzt wurde: der eines zunehmend schlampigen Umgangs mit dem Nationalsozialismus; und einer abnehmenden Sensibilität für die historischen und ethischen Grundlagen der Zweiten Republik.

Tatsächlich aber spielt sich nun Überraschendes ab. Denn seit langem gab es keinen so großen Widerstand gegen diese Art nationalsozialistischer Renaissance. Sogar Bundespräsident Waldheim verurteilte Haiders Äußerungen, nachdem dieser das Staatsoberhaupt „um Schutz“ gebeten hatte. Haider und seine medialen Helfer versuchen nun, die Kritik als „Kampagne gegen Kärnten“ darzustellen, um Solidarisierung zu erzeugen und den politischen Sturz zu verhindern. Die nächsten Tage werden zeigen, ob Österreich diese Kraftprobe besteht. Gerfried Sperl, Wien

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