Lügengebäude im Hanauer Atomprozeß

Hauptangeklagter Vygen gesteht kurz vor Toresschluß/ Auch der Ex-Chef der Transnuklermutter Nukem Manfred Stephany soll von schwarzen Kassen gewußt haben/ Verfahren wegen Meineid?  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt anau/Frankfurt (taz) — Kurz vor Schluß des größten Atomprozesses der Nachkriegsgeschichte scheint der Hauptangeklagte, der Atommanager Peter Vygen, nicht mehr von der Glaubwürdigkeit seiner Aussagen überzeugt zu sein. Transnuklearmanager Vygen gab auf und gestand die Beteiligung an den Bestechungen. Gleichzeitig bezichtigte er seinen damaligen Chef, den Ex-Geschäftsführer der Transnuklearmutter Nukem, Manfred Stephany, der Mitwisserschaft.

Stephany hatte dagegen noch am 20. Februar im Hanauer Gerichtssaal behauptet: „Von schwarzen Kassen, schwarzen Konten und einem Beschaffungssystem für nützliche Aufwendungen bei der Transnuklear habe ich nichts gewußt.“ Auch als das Landgericht Hanau damals die Vereidigung von Stephany anordnete, gab sich der Geschäftsführer der Brennelementeschmiede unbeeindruckt.

Im laufenden Prozeß gegen Vygen wurde klar, warum sich Stephany so sicher fühlen konnte: Kurz vor Aufdeckung des Skandals, so Vygen in dem überraschend abgelegten umfassenden Geständnis, hätten er und Stephany vereinbart, sich in der Frage „schwarzer Kassen“ gegenseitig nicht zu belasten. Vygen berichtete, er habe 250.000 Mark Schweigegeld erhalten. Daß Vygen gestern die abgesprochene Linie verließ, begründete er damit, daß er „nicht den Kopf für den großen Guru Stephany hinhalten“ wolle. Überrascht waren auch Vygens Anwälte. Die beiden Verteidiger wollten kurzzeitig ihr Mandat niederlegen. Ihnen habe Vygen seine Mitwisserschaft an den Bestechungen bislang verschwiegen. Offenbar vor dem Hintergrund der mehrjährigen Haftstrafen gegen seine Managerkollegen trat Vygen vor Gericht die Flucht nach vorn an: Nukem-Geschäftsführer Stephany habe ihn bereits bei seiner Einstellung 1978 darauf hingewiesen, daß er bei Transnuklear (TN) „ungewöhnliche Akquisitionsmaßnahmen“ werde anwenden müssen. „Ungewöhnliche Akquisitionen“ war die firmeninterne Umschreibung für Schmier- und Bestechungsgelder. Der inzwischen durch Selbstmord verstorbene leitende Angestellte Holz und der verurteilte Abteilungsleiter Knackstedt seien damals gleichfalls von Stephany zu Transnuklear geholt worden, weil sie Fachleute auf dem Gebiet der illegalen Akquisition gewesen seien. Stephany und andere Nukem-Manager seien immer über die Aktivitäten in Hanau „voll informiert“ gewesen. So habe die Rechtsabteilung der Nukem 1986 die Gründung einer Scheinfirma angeregt. Als im Jahre 1987 der neue TN-Geschäftsführer Fischer den gesamten Laden habe hochgehen lassen, weil ihm die illegalen Geschäfte der TN „zu unprofessionell“ abgewickelt worden seien, habe sich Stephany als Geschäftsführer der Nukem und Aufsichtsratsvorsitzender der TN schnell verabschiedet. Stephany ist heute für eine Unternehmensberatungsfirma tätig.

In Hanau war gestern noch keine Entscheidung darüber gefallen, ob nach den Aussagen von Vygen gegen Stephany Anklage wegen Meineides erhoben und ein gesondertes Strafverfahren gegen ihn eigeleitet wird. Für Elmar Diez von der Hanauer Bürgerinitiative Umweltschutz (IUH) stellt sich aber nach dem Geständnis Vygens die Frage nach der Mitwisserschaft der Nukem-Mütter RWE und Degussa „immer dringlicher“. Diez: „Das ist doch alles eine große Mafia.“