Unzufriedenheit auf KSZE-Treffen

Weiterhin Dissens über die Einberufung von KSZE-Sitzungen bei Krisensituationen in Mitgliedsländern/ Balten nehmen als Gäste der skandinavischen Länder und Belgiens teil  ■ Aus Berlin Andreas Zumach

Deutlich unzufrieden äußerten sich am gestrigen ersten Tag der KSZE- Außenministerkonferenz im Berliner Reichstag einige Teilnehmer über die unzureichenden Kompetenzen, die die 34 Mitgliedstaaten der KSZE bislang übertragen haben. Differenzen verzögerten den für diese Außenministertagung angekündigten Beschluß über die Schaffung von Mechanismen zur Krisenbewältigung. Zu Beginn der Konferenz wurde Albanien als 35. Mitglied aufgenommen.

Der belgische Außenminister Eyskens verlangte, daß dem beim Pariser KSZE-Gipfel im November 1990 eingerichteten Konfliktvermeidungszentrum in Wien „unter politischer Verantwortung der 35 Außenminister die volle Zuständigkeit für Fragen der Sicherheit, der Verhandlungen über Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie über vertrauensbildende Maßnahmen in Europa in Europa übertragen wird“. Ähnliche Forderungen erhob Österreichs Außenminister Mock. Er sprach sich außerdem dafür aus, daß die KSZE nach dem inzwischen abgeschlossenen ersten Vertrag über konventionelle Waffen in Europa (VKSE) bald ein neues Mandat beschließt für eine ganze Reihe weitergehender Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen. Eyskens wiederholte den inzwischen auch beim UNO-Sicherheitsrat eingebrachten Vorschlag seiner Regierung, ein Register zu schaffen, um zumindest weltweit Waffenexporte registrieren zu können. All diese Vorschläge stoßen bisher auf Ablehung und tiefe Skepsis bei der großen Mehrheit der 16 Nato-Staaten.

„Frustration“ äußerte der belgische Außenminister über die „mangelnde Bereitschaft einiger Regierungen am Tisch“, sich zumindest auf einen ersten verbindlichen Mechanismus für Krisensituationen zu verständigen. Einig wurden sich die 35 Außenminister gestern zwar darüber, daß Krisensitzungen auf der Ebene der politischen Direktoren der Außenministerien stattfinden sollen und daß Beschlüsse dieses Gremiums Konsens erfordern. Doch der Einberufungsmodus blieb umstritten. Die Sowjetunion beharrt auch hier auf dem Konsensprinzip. Da bedeutet de facto, daß das betroffene „Krisenland“ ein Veto gegen eine solche Sitzung einlegen kann. Schweden dagegen schlägt eine Mindestzahl von sechs Ländern vor, auf deren Verlangen eine Krisensitzung einberufen werden muß. Die EG- Mitglieder plädierten für das Quorum von zwölf, die Türkei von 14 Staaten. Mit Blick auf den Konflikt um das von ihr völkerrechtswidrig besetzt gehaltene Nordzypern hatte die türkische Regierung zunächst sogar verlangt, daß alle Konflikte, mit denen sich schon einmal der UNO- Sicherheitsrat befaßt hat, kein Objekt von KSZE-Krisenmechanismen sein dürften.

Zu Beginn der Konferenz legte die zunächst mit Beobachterstatus teilnehmende Delegation Albaniens eine Erklärung vor, wonach die Regierung in Tirana sämtliche KSZE- Dokumente von Helsinki 1975 bis zur Pariser „Charta für ein neues Europa“ aus dem November 1990 anerkennt. Daraufhin stimmte die Konferenz einstimmig der Aufnahme Albaniens als KSZE-Vollmitglied zu.

Nach einer Unterrichtung über die angespannte Lage in Jugoslawien durch Außenminister Loncar rief die Konferenz die jugoslawischen Republiken zu einer „Fortsetzung des Dialoges“ und zur Vermeidung von Gewalt auf.

Vertreter der drei baltischen Sowjetrepubliken, die beim Pariser Gipfel nach einer Intervention Moskaus noch nicht einmal die Akkreditierung als Journalisten erhalten hatten, nahmen als Mitglieder der Delegationen aus Schweden, Norwegen und Belgien an der öffentlichen Eröffnungssitzung der Konferenz teil. Unklarheiten gab es gestern im Konferenzgebäude über den Status von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), für die Österreichs Außenminister Mock „weitergehende Beteiligungsmöglichkeiten“ am KSZE-Prozeß forderte. Bis gestern abend war nicht sicher, ob die Delegation der im September letzten Jahres in Berlin veranstalteten KSZE der Frauen noch eine Gelegenheit erhalten, ihre zur Außenministerkonfernez vorbereitete Stellungnahme zumindest dem Konferenzvorsitzenden, Bundesaußenminister Genscher, zu übergeben.

Die Außenminister der USA und der UDSSR, Baker und Bessmertnych, berieten am Rande der Konferenz über den Stand der Nah-Ost- Friedensbemühungen, die Gewährung der US-Meistbegünstigungsklausel für den Handel mit der Sowjetunion sowie über die letzten Hindernisse für ein START-Abkommen.