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Patriotischer Einsatz

Geheimdienst in 13 Kapiteln: John le Carré, der neue  ■ Vvon Dorothea Hahn

Wir haben gewonnen.“ Der pensionierte Meisterspion sitzt mit einem Glas Brandy in der Hand am Kamin und hält genüßlich Rückschau auf den Kalten Krieg. George Smileys Karriere begann und endete mit der Berliner Mauer. Was auch immer diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs geschah, es gehörte zu seinem Aufgabengebiet. Niemand in der Londoner Zentrale beherrschte so wie er das Geschäft der Geheimen; er war einer der ganz Großen beim Verhören, bei der Auswahl des Nachwuchses und beim Enttarnen von Verrätern. Jetzt hat er noch einmal einen vielbewunderten Auftritt vor der Abschlußklasse der Spitzelakademie. Großzügig teilt er dabei kollegiale Tips aus und erzählt von seinen ruhmreichen Einsätzen an der Spionagefront.

Doch zumindest einen Zuhörer im Raum rühren diese Heldengeschichten nicht im geringsten. Ned, der Ausbilder der jungen Spitzel, hat sein Berufsleben ebenfalls im Schatten der Mauer und im Dienste der westlichen Aufklärung verbracht. Während sein langjähriger Vorgesetzter Smiley auf jede Frage eine Antwort weiß, erinnert Skeptiker Ned ganz andere, unrühmliche und düstere Episoden aus einem Leben für den „Dienst“. Er war dabei, als Millionen verpulvert, politische Utopien verheizt, Doppelagenten enttarnt und Menschen erschossen wurden. Jahrzehntelang hat er nur an aussichtslosen und unsinnigen Missionen teilgenommen.

Neds Parallelgeschichte von Mißerfolgen, persönlichen Tragödien und nutzlosen Missionen erzählt John le Carré in seinem neuesten Spionageroman „Der heimliche Gefährte“ — nach dem Perestroika- Stück „Das Rußland-Haus“ nun eine Reise zu fast allen Schauplätzen des Kalten Krieges.

Überall, wo es spannend war, tat auch le Carrés Held Ned seinen Dienst. Er war in dem „Geheimdienst-Bordell“ Pullach bei München, wo sich nostalgische Monarchisten, osteuropäische Antisemiten, Nazi-Offiziere und amerikanische und sowjetische Agenten gegenseitig im Wege standen. Er schickte Agenten zum patriotischen Einsatz an irgendeine baltische Küste, wo sie gleich beim ersten nächtlichen Anlegemanöver in das offene Messer des sowjetischen Geheimdienstes liefen. Und er verfolgte die Spur eines zwischen Vietnam, Laos und Kambodscha verschollenen Agenten — und fand ihn an der Seite seiner Tochter in einem Bangkoker Bordell.

Nachrichtendienstlich haben sich diese Einsätze nie besonders gelohnt. Statt dessen liefern sie Portraits von Agenten, die alle gängigen Vorurteile bestätigen: Le Carrés „Helden“, die ihr Leben für den freien Westen aufs Spiel gesetzt haben, sind gescheiterte, traurige Existenzen, die aus Perspektivlosigkeit, Langeweile oder Abenteuerlust in den Kalten Krieg stolperten. Rückgratlose, mitleiderregende Gestalten, die einen Job erledigen, tolpatschig und immer gefährdet. Nur durch Zufall treffen die Westagenten mal ins Schwarze. Meist schickt der „Dienst“ seine Leute mutwillig in Gefahr, bloß um Präsenz zu beweisen. Die wirklich guten Coups — wie einen zentral plazierten Doppelagenten — landet allenfalls mal die Gegenseite.

Das Erscheinungsdatum für den Roman könnte kaum günstiger sein, um ihn zum Bestseller zu machen: Der Kalte Krieg ist zu Ende, so manch finstere westliche Geheimdienstmachenschaft der letzten Jahrzehnte ist ruchbar geworden, und Tausende von östlichen Agenten sind arbeitslos. Hinzu kommt, daß le Carré das, sein Genre seit vielen Jahrzehnten beherrscht. Er hat die üblichen Ingredienzen zu einem Potpourri aus Moral, Liebe und Politik gemischt, mit ein paar atemberaubend schönen Frauen sowie herzensguten, aber grobschlächtigen Männern als Dreingabe. Le Carré hat es in der Eile sogar noch geschafft, den „Dieb von Bagdad“ unterzubringen.

Bei soviel Spionagekritik aus dem Innenleben der geheimen Dienste fragt sich die Lesergemeinde zu recht, ob das ganze Kalte-Kriegs- Theater wirklich nötig war. Das wiederum ist eine Frage für den Helden am Kamin (der mit dem Brandyglas und dem ungetrübten Selbstbewußtsein). Gegen Ende der Geheimdienstabrechnung in 13 Kapiteln läßt le Carré den pensionierten Meisterspion wieder schwärmen. Für Smiley ist mit dem Ende des Kalten Krieges ein Lebenstraum Wirklichkeit geworden — und so ziemlich jeder Einsatz des „Dienstes“ im nachhinein gerechtfertigt. Auch um die Zukunft seiner Branche macht sich der Kalte Krieger keine Sorgen. Denn, so Smileys Leitsatz: Spione werden immer gebraucht. „Sollte je der Tag kommen, an dem es keine Feinde mehr gibt, dann werden die Regierungen sie eben erfinden“, versichert er seinen Schülern. Agentenkritiker le Carré ist dabei der geheime Komplize seiner Figur. Wovon sollte ein Autor von Spionagegeschichten auch leben, wenn es keine Spitzel mehr gäbe?

John le Carré: Der heimliche Gefährte, Aus dem Englischen von Werner Schmitz.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, gebunden, 412 Seiten, 39,80 DM

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