Staatsmann Boris Jelzin goes West

Vom trinkfesten Dissidenten zum weltmännischen Präsidenten:Jelzin korrigiert in den USA sein Image vom letzten Besuch/ Bush-Administration würdigt den Gast, nimmt aber Rücksicht auf Gorbatschow  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Bei seinem letzten USA-Besuch hatte er sich noch durch die Hintertür ins Weiße Haus schleichen müssen und nur ein gutes Dutzend Senatoren getroffen. Doch diesmal wurden Boris Jelzin fast sämtliche Rosinen des Protokolls serviert. Den Photoblitz vor dem Weißen Haus nach einer längeren und offiziellen Audienz beim Präsidenten, ein partyähnliches Zusammentreffen mit Washingtons Politelite in den prallgefüllten Räumen der sowjetischen Botschaft, eine ganze Serie von Fernsehauftritten und das Bad in der Touristenmenge vor dem Kapitol. „Boris, Boris“, Schulkinder, die zur Würdigung ihrer amerikanischen Geschichte in die Hauptstadt gekommen waren, trafen unverhofft auf den ersten Russen in ihrem Leben, der gleich nach dem Wahlsieg daheim nun sein Heil im Westen suchte.

Spielend überwand Jelzin sein Imageproblem, das noch von seinem letzten Amerika-Besuch im Herbst 1989 herrührte, als die US-Medien seine Visite in eine ruppige Sauftour umgedichtet hatten. Diesmal gab er sich — nach Konsultation einer Washingtoner Werbeagentur — strahlend und weltmännisch.

Die Probleme lagen eher bei den Gastgebern. Denn für die Bush-Administration gilt es bei Jelzins Besuch eine Gratwanderung zu vollführen. Sicher will man den russischen Reformer und Champion der republikanischen Rechten auch im Weißen Haus unterstützen. Schließlich präsentiert er sich als der kommende Mann und Garant für die Unabhängigkeit der Sowjetrepubliken und für radikale Wirtschafstsreformen. Auf der anderen Seite geht es George Bush um Stabilität des zerfallenden Riesenreiches, das längst nicht mehr böse, sondern nur noch bankrott ist; und Stabilität wird immer noch durch Gorbatschow aufrechterhalten.

Jelzin wird auf seiner viertägigen US-Reise versuchen, die Grundlagen für eine engere Kooperation Washingtons mit seiner russischen Föderation zu schaffen. Auch ohne den Abschluß konkreter Verträge oder Hilfspakete geht es dem neugewählten russischen Präsidenten darum, zukünftige Hilfen, vorbei an der Moskauer Zentralgewalt, in die sowjetischen Republiken zu leiten.

Die Bush-Administration möchte dagegen Näheres über Jelzins Verhältnis zu Gorbatschow herausfinden und wissen, wie weit deren neue Kooperationsbereitschaft ihre alte Rivalität überlagert.

Vor dem Kongreß gab sich Jelzin gegenüber seinem Widersacher im Kreml eher versöhnlich. Doch vor der Kamera der Nachrichtenshow „Nightline“ kritisierte er Gorbatschow für seine Wankelmütigkeit. Was er an Gorbatschow denn nicht möge, wurde er gefragt. „Seine Inkonsistenz. Seine halbherzigen Entscheidungen und seine Positionswechsel“, kam die Antwort. Trotzdem wird er auch George Bush versichert haben, daß sie beide, der aufgeklärte Apparatschik und der unorthodoxe Populist, auch weiter zusammenarbeiten werden.

Im Gegensatz zu Gorbatschow, der die USA in der Vergangenheit als Plattform für seine internationalen Public-relations-Touren benutzt hat, liebt Boris Jelzin dieses Land. Von der amerikanischen Demokratie, von den Gründervätern und ihrem Entwurf für ein politisches System könne die Sowjetunion viel lernen, erklärte er den geschmeichelten Senatoren. Schließlich besuchte Jelzin, der Präsident einer abspaltungswilligen Republik, das Lincoln Memorial und erwies damit gerade jenem amerikanischen Politiker seine Referenz, der die amerikanische Union zusammengehalten hat.