Schienen- gegen Straßenlobby

■ Reichsbahn hält nur noch 35 Prozent am ostdeutschen Gütertransport/ Der dirigistische Eingriff ist vorbei

Leipzig. Das angekratzte Image der Bahn als zu langsam und zu uneffektiv schließt auch Lastentransporte mit ein: Noch 35 Prozent des Gütertransports in den neuen Bundesländern rollen über die Strecken der Deutschen Reichsbahn.

Der Schienenstrang hat seine zu DDR-Zeiten 70prozentige Vormachtstellung gegenüber der Straße eingebüßt. Trotzdem sieht es für die Bahn im Osten vergleichsweise zum alten Bundesgebiet noch recht gut aus: Im Westen wird nur noch ein Viertel der Transporte auf der Schiene erledigt. Obgleich das bestimmt nichts mit der Qualität der dortigen Transportwege zu tun hat, eher mit der Stärke der Autolobby. Die Situation der Deutschen Reichsbahn habe „sich im letzten dreiviertel Jahr grundlegend gewandelt“, meint jedenfalls Karl Gräfe, stellvertretender Chef für Güterverkehr in der Bahndirektion Halle. „Wir müssen jetzt wie Binnenschiffer, Luftfahrt und Kraftverkehr um unsere Kunden kämpfen.“ Vorbei ist es mit der dirigistischen Bestimmung, welcher Betrieb welches Verkehrsmittel zu nutzen hat. Für die Wirtschaft ohne Zweifel ein Vorteil — für Umwelt und Verkehrsdichte auf den (zumeist) maroden ostdeutschen Straßen allerdings mehr als bedenklich.

Die Bahn will der Straße jedoch nicht so ohne weiteres das Terrain überlassen: Was die Alternative zum Transport auf Rädern und die Konkurrenzfähigkeit der Schiene in den Vorstellungen der Bahnler ausmacht, sind neue „Leistungen und Konzepte“; um „stabile Warenströme“ auf der Schiene garantieren und den Transportanteil zukünftig langsam anzuheben. Die Reichsbahner setzen auf den „kombinierten Verkehr“. Die Bahn kümmert sich demnach nicht mehr nur um den Gleistransport, sondern will mit Partnerunternehmen und eigenen Speditionen die An- und Abfahrt zum Bahnhof oder Verladeterminal organisieren. Als Hauptkunden betrachtet die Bahn weiter Unternehmen, die Massengüter wie Baumaterial, Brenn- und Treibstoff zu bewegen haben. Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist: „Binnen 48 Stunden garantiert die Bahn in ganz Deutschland den Versand für Waren bis zu einer Tonne“, erläutert Gräfe. „Heißestes Eisen“ im Feuer ist dabei die sogenannte „rollende Landstraße“, bei der die Lkw-Ladeaufbauten auf einen Waggon umgesetzt werden. Die Pilotverbindung der Reichsbahn Leipzig-Ruhrgebiet bewährt sich nach Auskunft Gräfes bereits bestens. Rentieren würde sich ein Bahntransport vor allem bei Entfernungen über 120 Kilometer. Früher hat die Reichsbahn nach dem Motto „Tonne mal Kilometer“ ein starres Preissystem angeboten. Heute soll, wie auch im Westen, mit zunehmender Entfernung der entsprechende Gesamtpreis sinken.

„Wenn sich die Eisenbahn im Osten künftig behaupten will, dann müssen Schienennetz, Bahnhöfe und Wagenpark möglichst schnell modernisiert werden“ [wie wahr, wie wahr... d.R.], meinte Gräfe. In diesem Jahr sollen über 300 Millionen DM in die Gleissanierung des Großraums Halle-Leipzig, der nach Ansicht von Gräfe wichtigsten ostdeutschen Bahnregion, fließen. Bis 1997/98 ist am Stadtrand von Leipzig bei Waren-Lützschena ein neuer Rangierbahnhof als Güterverkehrszentrum für das mitteldeutsche Industriegebiet geplant. abc/adn