„Es gibt sehr wenig, was wir anders machen würden“

■ Die sandinistische Ökonomin Rosa Maria Renzi über die Schwierigkeit der Sandinisten, Alternativen zur Wirtschaftspolitik Chamorros zu finden

Rosa Maria Renzi hat nach dem Sturz des Diktators Somosa ab 1979 acht Jahre im Ministerium für Außenhandel gearbeitet. Als „rechte Hand“ des Planungsministers Martinez Cuenca war sie seit 1988 eine der ArchitektInnen des wirtschaftlichen Anpassungsprogramms der sandinistischen Regierung. Heute ist sie Geschäftsführerin des Wirtschaftsforschungsinstituts „Fideg“ in Managua.

taz: Die Wahlniederlage im vergangenen Jahr hat bei den Sandinisten eine selbstkritische Revision der vergangenen Regierungszeit erzwungen. Aber erlauben der Contra-Krieg und das Handelsembargo der USA überhaupt eine echte Beurteilung der sandinistischen Wirtschaftspolitik?

Rosa Maria Renzi: Zweifelsohne spielte der Krieg eine ganz zentrale Rolle; aber wir machen es uns zu leicht, wenn wir ihn als allein entscheidend und für alles verantwortlich sehen. Der Contra-Krieg und die Agression der USA waren gravierende Faktoren für die nicaraguanische Wirtschaft, aber wir dürfen sie nicht als Ausrede benutzen, um unsere eigenen Fehler und Irrtümer in diesen zehneinhalb Jahren sandinistischer Regierung dahinter zu verstecken.

Die Rechte hat den Sandinisten beständig vorgeworfen, unter dem Mantel der proklamierten „gemischten Wirtschaft“ letztlich eine staatliche Planwirtschaft aufbauen zu wollen. War die „Economia Mixta“ für die sandinistische Führung reale Orientierung oder nur ein verbales Zugeständnis?

Innerhalb des Sandinismus ließen sich nach dem Triumph über Somoza klar zwei verschiedene Strömungen ausmachen: Die einen, für die die gemischte Wirtschaft tatsächlich ein „strategisches“, langfristiges Projekt war; ging es doch essentiell darum, eine Form der Koexistenz des staatlichen Wirtschaftssektors mit dem nationalen Unternehmertum zu finden. Für den anderen Teil war die „Economia mixta“ nur „taktisch“, ein vorübergehend notwendiges Zugeständnis; und es war diese Gruppe, die in den ersten Jahren das Sagen in der Regierung hatte und dort eine starke staatliche Zentralisierung und Planung der Wirtschaft anstrebte.

Welchen Einfluß hatten internationale Vorbilder auf die sandinistische Wirtschaftspolitik?

Der Bezugsrahmen waren eindeutig die Länder Ost- Europas. Diese erschienen als funktionierende Alternativmodelle mit einer gerechteren Verteilung des Reichtums, und so orientierte man sich an ihnen.

Aber diese Politik änderte sich dann doch schon vor dem Zusammenbruch des osteuropäischen Sozialismus. Warum?

Die staatszentralistische Konzeption basierte in Nicaragua entscheidend auf der Annahme, daß mit der Verstaatlichung des Somoza-Besitzes der Staat praktisch die gesamte Wirtschaft Nicaraguas kontrollieren würde. Und diese Einschätzung erwies sich als falsch. Der Somoza-Besitz machte zwar 30 bis 50 Prozent in den verschiedenen Bereichen und damit einen sehr gewichtigen Teil der nationalen Ökonomie aus, aber er war halt nicht allmächtig. So zeigte sich schon 1981/82, daß eine zentrale staatliche Planung schlechterdings nicht möglich war. Dennoch hielt man daran fest, daß der Staat der Motor der Wirtschaft sein sollte, man setzte weiter auf die staatlichen Großprojekte, deren Dynamik das gesamtwirtschaftliche Wachstum stimulieren würde.

Welches weitergehende wirtschaftliche Projekt haben denn die Sandinisten heute anzubieten?

Nun, die Frente Sandinista braucht jetzt nicht ein komplettes Regierungsprogramm parat zu haben, schließlich ist sie nicht in der Regierung. Und um in Zukunft wieder an die Regierung zu kommen, muß sie zunächst das Vertrauen der Bevölkerung wiedergewinnen und wirklich wieder für eine Mehrheit sprechen können. Das sind nicht nur die Arbeiter und Bauern, sondern insbesondere auch der große Teil der Bevölkerung, der im informellen Sektor arbeitet. Und hier hat die FSLN bislang keine klare Politik gehabt.

Einige Comandantes der FSLN propagieren inzwischen eine „soziale Marktwirtschaft“ ...

Die postuliert ja auch die gegenwärtige Regierung, nur meint das etwas sehr verschiedenes. Für die Chamorro-Regierung hat der Staat nur die Funktion, die Infrastruktur, den Rahmen für die Gesellschaft insgesamt bereitzustellen. Ich denke dagegen, daß der Staat außerdem — und insbesondere während einer rigiden ökonomischen Anpassungspolitik — eine starke soziale Funktion erfüllen muß für die Bevölkerung, die von den negativen Effekten hart getroffen wird. Und der Staat muß auch Instrumente für die Entwicklung des Landes schaffen.

Dem Staatssektor in der Wirtschaft war es ja letztlich nie gelungen, der ihm von der sandinistischen Regierung zugedachten Rolle als „dynamischer Entwicklungsmotor“ gerecht zu werden. Nun setzt die Regierung Chamorro auf Privatisierung. Ist das die notwendige Konsequenz daraus?

Schon die sandinistische Regierung hatte in ihrem letzten Jahr von der Notwendigkeit gesprochen, bestimmte Teile der Wirtschaft zu privatisieren. Es war in der Tat ein sehr amorpher Staat geschaffen worden, der praktisch in allen Bereichen der Wirtschaft steckte und noch die ungewöhnlichsten Geschäfte umfaßte. Der Staat hat seine Funktion weder als Produzent noch als regulierende, übergeordnete Instanz der Wirtschaft wirklich erfüllt.

Was wir allerdings nicht glauben ist, daß Privatisierung schon aus Prinzip ein Allheilmittel ist, wie es die Regierung jetzt präsentiert. Durch Privatisierung allein werden die strukturellen Probleme noch lange nicht gelöst. Wir haben eine völlig obsolete Industriestruktur, die in keiner Weise konkurrenzfähig ist; und nur indem man sie an private Unternehmer übergibt, ist sie noch nicht in einem besseren Zustand. Auch bei der Privatisierung muß es um eine Demokratisierung der Wirtschaft, der Besitzstruktur gehen. Und deshalb wird im Augenblick so hart darum gekämpft, daß ein Teil der Unternehmen von den Arbeitern selbst übernommen werden kann. Aber auch wenn sie in den Besitz der Arbeiter übergehen, sind die Betriebe noch die alten.

Was würde eine sandinistische Regierung denn derzeit anders machen?

Sehr wenig. Ich glaube, es ist sehr wenig, was wir anders machen könnten. Wenn die Sandinisten die Wahl gewonnen hätten, hätte es vielleicht die Krise im vergangenen Jahr nicht gegeben, in der die Ende 1989 bereits erreichte Stabilitätinsbesondere durch die politische und gesellschaftliche Polarisierung und Unsicherheit wieder zunichte gemacht wurde. Aber die Wiederherstellung der Beziehungen zu den USA wäre kaum so einfach gewesen. Und der Zusammenbruch des sozialistischen Blocks hätte die sandinistische Regierung in eine überaus kritische Lage gebracht, was die externen Finanzzuflüsse angeht. Interview: Bert Hoffmann