Großes miteinander vollbringen

Treffen Genschers mit Bessmertnych am 50. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion  ■ Aus Potdam Ulrike Helwerth

Im Juni 1941 zog sein Vater eine Uniform an und verabschiedete sich. Damals hätte sich der achtjährige Alexander Alexandrowitsch im Leben nie träumen lassen, daß er später einmal, als Außenminister der Sowjetunion, dort auftreten würde, wo auf den Tag genau vor 50 Jahren Hitler die letzten Vorbereitungen für den Krieg aller Kriege traf. Sein Vater überlebte diesen nicht. „Man kann nicht der Hand verzeihen, die die Granate warf, die meinen Vater in Stücke riß“, sagte Alexander Bessmertnych gestern in Potsdam — just entstiegen einer Luxuslimousine jenes deutschen Rüstungsriesen, der 1941 an vorderster Front dabei war. Er sagte das vor Außenminister Genscher, dem brandenburgischen Ministerpräsidenten Stolpe und anderen 100 „Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“ und rund 200 deutschen und sowjetischen Soldaten, die zu einem deutsch-sowjetischen Freundschaftstreffen einmaliger Art zusammengekommen waren: Eine gemeinsame Gedenkfeier zum 50. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die UdSSR.

„Die Zeit löscht nicht das Gedächtnis an die Vergangenheit mit ihren Leiden und Opfern aus“, sagte Bessmertnych, wurde aber gleich versöhnlich. Er versicherte, daß sein Volk „niemals Haßgefühle“ gegenüber den Deutschen hegte. Auch Genscher hielt sich dann nicht lange bei den „Wunden, die heute noch schmerzen“, auf, sondern zog lieber eine positive Bilanz. Etwa: „Schuld und Leid dieses Krieges sind zu Triebfedern der geistigen, moralischen und politischen Erneuerung in Europa geworden.“ Oder: „In der Bundesrepublik Deutschland entstand die freiheitlichste und sozialste Staats- und Gesellschaftsordnung unserer Geschichte.“

Die beiden im Geiste der KSZE vereinten Amtskollegen beschworen ganz besonders die neue deutsch-sowjetische Freundschaft. Genscher: „Wenn es in Europa Völker gibt, die von einander lernen und die miteinander Großes vollbringen können, dann sind es die Völker in der Sowjetunion und das deutsche Volk.“ Niemand erschrak. „Wir Deutschen wollen, daß die sowjetischen Soldaten als Freunde gehen, wir wollen, daß Sie in Ihrer Heimat an uns mit dem Gefühl der Freundschaft zurückdenken“, versüßte Genscher den sowjetischen Westtruppen den Auszug aus dem Paradies. Was aber, Herr Genscher, wenn diese gar nicht mehr heim sondern noch eine Weile in der „freiheitlichsten und sozialsten Gesellschaftsordnung“ verweilen wollen?