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■ Erhellendes mit Verdunklungsgefahr * "B-Tag: 22.Juni 1941, Y-Zeit: 03h15", 21.6., 21 Uhr, ARD

Filmemacher Henric L. Wuermeling hatte im Vorfeld seiner Dokumentation zum 22.Juni 1941 wahrlich denkwürdige Metaphern bemüht. Von einem „Psychogramm dieses Tages“ war die Rede gewesen und daß man ihn „wie einen Reißverschluß öffnen“ wolle. Doch ungeachtet derartiger Stilblüten erwies sich sein Beitrag B-Tag: 22.Juni 1941, Y-Zeit: 03h15 in mancherlei Hinsicht als einer der besseren inmitten des enormen Medienrummels um den 50. Jahrestag des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion. Minutiös zeichnete er Chronologie und Dramaturgie der damaligen Ereignisse nach und bemühte sich nach Kräften, diese Punkt für Punkt sowohl aus der deutschen wie aus der sowjetischen Perspektive zu beleuchten.

Im steten Wechsel zwischen der offiziellen Politbühne und den Erinnerungen „einfacher“ Frontsoldaten beider Seiten gelang es ihm zudem, die „Welten“ zu verdeutlichen, die zwischen diesen beiden Ebenen lagen. Das alles in einer wohldosierten Mischung aus Ton- und Bilddokumenten, aktuellen Bildern der Schauplätze, szenischen Rekonstruktionen und Aussagen von Zeitzeugen. Auch wenn es in einigen Fällen den Anschein hatte, als sollte jede Aussage auf Teufel komm raus durch irgendein „passendes“ Filmdokument illustriert werden, pflegte der Autor einen überwiegend erhellenden Umgang mit dem historischen Material.

Freilich blieb auch dieser Beitrag der militärischen Perspektive verhaftet, waren die Zeitzeugen bis auf wenige Ausnahmen allesamt ehemalige Militärs. Ihre Vorstellung mit Zusätzen wie „Heeresgruppe Mitte“ waren ebenso wie die gemeinsamen Sandkastenspiele (blaue gegen rote Plastikpanzer) der beiden Historiker aus Ost und West allenfalls für Militärhistoriker und Hobby-Generäle von Interesse.

Aber eigentlich befremdlich war eine andere Szene: ein im Mai 1991 arrangiertes Zusammentreffen von deutschen und sowjetischen Soldaten von einst auf einer Brücke über den Grenzfluß Bug. Daß sie sich in ihrer hilflosen Verkrampfung schnell darauf einigten, daß Hitler und Stalin die Verbrecher und „Soldaten immer die Opfer“ waren, ist eine Sache, diese Szene mit ihrer inhärenten Absolution für das deutsche Gewissen an den Schluß des Films zu stellen, eine andere.

So fügte sich denn auch dieser Beitrag am Ende nahtlos in den zwiespältigen Versöhnungstenor des allgemeinen Rummels, den Politiker und Medien um diesen Tag veranstalteten. Die plötzliche „Anteilnahme“ nach 49 Jahren des Schweigens war nicht der Tatsache geschuldet, daß dieses Verbrechen „runden Geburtstag“ hatte (was zynisch genug gewesen wäre), sondern allein dem Umstand, daß sich seiner nach dem Zusammenbruch des Ostblocks erstmals unbeschwert, im Sinne von „die Scham ist vorbei“, gedenken ließ. Einem Erinnern, das (auch) dem Vergessen diente. Reinhard Lüke