Poppeas verwickelte Krönung

■ Luc Bondys Monteverdi-Inszenierung in Brüssel

Wie Claudio Monteverdis Musik vor knapp 400 Jahren wirlich klang, vermag niemand zu sagen. Wie sie heute klingen soll, ist strittig. Die Partituren des venezianischen Meisters, der — trotz des Vorgängers Iacopo Peri — als der Begründer der Kunstgattung Oper gelten darf, verraten nur bedingt, was da einst musikalisch in Bewegung gesetzt wurde zwischen ausgeschmückten Gesangsstimmen und beziffertem Baß. In Holland entschieden sich kürzlich Pierre Audi und das ASKO-Ensemble für einen Ton, der dem mutmaßlich „originalen“ möglichst nahekommen sollte: sehr zurückhaltend also die instrumentale Begleitung zu Il combattimento di Tancredi e Clorinda in den Amsterdam Studios.

Obwohl die Liebesintrige der Poppea, der Bericht von ihrer Erhöhung zur Gattin Neros und zur römischen Kaiserin, weit weniger kampfbetont und schlagwütig ist, wurde L'Incoronazione di Poppea am ThéÛtre de la Monnaie mit kräftigen Schlagwerk-Zutaten präsentiert. Philippe Boesemans Arrangement sorgte zugleich für einen stattlichen Bläser-Anteil bei der Realisierung der Oper von 1642. So erinnerten einzelne Episoden an den Orff der dreißiger Jahre (was manchen eine Anfechtung ist, anderen als wertneutral zu betrachtendes Kolorit erscheint). Dort, wo sich die Brüsseler Poppea-Musik der Zutaten weitestgehend enthielt, trat das große Espressivo Monteverdis unter den Händen von Sylvain Cambreling ansprechend zu Tage — in die Dämmerung der Bondy-Inszenierung.

Erich Wonder, der Bühnenbildner, vollbrachte anläßlich der Krönung der Poppea kein Wunder. Die Motive und Muster dieser Ausstattung wirken inzwischen so routiniert und abgegriffen, daß sie zur allgemeinen Ermüdung im Parkett und auf den Rängen beitrugen. Da mögen sich auch im Prolog Tugend und Glück, die allegorischen Figuren Virtù und Fortuna, um die größere Würde streiten — die Langeweile der Huldigungs-Oper beginnt sich bald schleichend auszubreiten. Als lachender Dritter im Streit der beiden metaphorischen Damen triumphiert Amor. Seine Sache betreiben Kaiser Nero und Poppea, bis dahin Ottones Geliebte, bereits in einem zeltähnlichen Gelaß auf dem leicht ansteigenden Teppichboden.

Das hohe Paar entwirrt sich, und die Machenschaften des enttäuschten Liebhabers sowie der noch amtierenden Nero-Gattin nehmen ihren Lauf — es droht Mord und Totschlag. Schließlich aber läßt man es mit der Verbannung der Ex-Kaiserin Ottavia bewenden — bewegend nimmt Trudeliese Schmidt in ihrem Namen von Rom Abschied. Nero und Poppea besingen das Glück ihrer offiziellen Vereinigung — Wonder und Bondy versahen sie mit nicht enden wollenden Schleppen in blutigen, schmutzigen Farben; lassen sie wieder unterm Baldachin der ersten Lust liegen und ihr O mia vita, o mio tesoro deklamieren. Wieslaw Ochman macht's recht manierlich, die teure Catherine Malfitano tendenziell einen deutlichen Hauch zu tief.

Luc Bondy läßt die Sänger gern mit drastischen Gesten agieren. Aber auch das ermüdet. Mitunter bewegt sich die Dekoration im Rahmen vor der Hinterbühne. In ihm zeigen sich diverse Projektonen, auch der den Attentätern drohende Galgen, mit dem kräftig hantiert wird. Ein Riesenfoto des Modells von Rom anno 65 nach Christus zieht langsam vorbei, bis der Blick auf die Sabiner Berge festgezurrt wird. Seneca, der zum Selbstmord genötigte Philosoph, hat Nero falsch beraten (merke: Die Gelehrten, die durch allzugroße Nähe zu den Herrschenden die Welt vor Verschlechterungen bewahren wollen, leben gefährlich). Und so spreizt sich der Abend weiter; Stunde um Stunde verrinnt, bis sich ein (ob der „Suggestivkraft“ der Bilder erbautes, mehr oder minder) glücklich erschöpftes Publikum bis zum kleinen Höflichkeitsapplaus aufrafft und in die wunderbaren Lokale rings um das ThéÛtre de la Monnaie strömt.

Im imaginären Wettstreit der Opernbetriebe in Amsterdam und Brüssel hat das niederländische Haus die Monteverdi-Runde klar zu seinen Gunsten entscheiden können, zumal bei Tancredi e Clorinda im Verbund mit Theo Loevendies Gassir das Alte und Neues auf ganz andere Weise zusammengebracht wurde als durch die grobe Brüsseler Monteverdi-Pastete: das Alte und das Neue als etwas unvermischt Verschiedenes. Frieder Reininghaus