Flecken auf dem „sauberen“ Krieg

Während des Golfkriegs zerstörten die USA gezielt zivile Infrastruktur, um einen Wiederaufbau ohne fremde Hilfe unmöglich zu machen/ In den US-Medien beginnt eine zaghafte Debatte über moralische Rechtfertigung der Golfkriegstrategie  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Die Siegesparaden sind vorüber. Nun gelangen in den USA langsam detailliertere Informationen über die militärische Strategie im Golfkrieg und ihre Folgen in die Öffentlichkeit. Der „saubere, chirurgische Eingriff“ gegen den Irak, so gaben amerikanische Militärplaner jetzt gegenüber der 'Washington Post‘ zu, war doch eine brutalere und blutigere Operation, als der sterile Militärjargon glauben machen sollte.

Vor allem in der Schlußphase des Luftkrieges wurden Ziele zerstört, die den Wiederaufbau des Iraks nach dem Kriege ohne ausländische Hilfe unmöglich machen sollte. Damit wollten sich die USA die Möglichkeit schaffen, auch nach Beendigung der Feindseligkeiten noch Druck auf den Irak ausüben zu können. Ein Großteil der rund 700 Bombenziele im Landesinneren war nur ausgewählt worden, um mit ihrer Zerstörung die Wirkung der internationalen Sanktionen zu verstärken.

Die meisten Zivilisten starben denn auch nicht durch fehlgeleitete oder irrtümlich abgeworfene Bomben, sondern an den Folgen des systematischen und erfolgreichen Versuchs, mit den Elektrizitäts-, Raffinerie- und Transport-Netzwerken die gesamte zivile Infrastruktur des Iraks lahmzulegen.

Auf einem Frühstück mit US-Reportern erklärte Verteidigungsminister Cheney jetzt, diese Ziele seien „absolut legitim“. „Wenn ich dies noch mal tun müßte“, so Cheney zur Golfkriegstrategie, „würde ich es wieder genauso machen.“ Die jetzt zum Nachkriegs-Schwatz eingeladene Presse hatte — von einigen Ausnahmen abgesehen — während des Krieges in ihrem nationalen Eifer darauf verzichtet, die auf zahlreichen Pressekonferenzen präsentierte Kriegsführungsstrategie kritisch zu hinterfragen.

In der jetzt vorsichtig beginnenden Debatte über die Kriegsfolgen geht es sowohl um die moralische als auch um die militärische Rechtfertigung der Kriegsstrategie. Die Organisation Greenpeace schätzt die Zahl der seit August an den Kriegsfolgen gestorbenen irakischen Zivilisten auf zwischen 74.000 und 100.000. Ein Medizinerteam der Universität Harvard hatte nach ihrem Irak-Besuch im Mai prognostiziert, daß „mindestens 170.000 Kleinkinder unter fünf Jahren im nächsten Jahr an den verzögerten Auswirkungen (der Bombardierungen) sterben werden“.

Dieser Krieg werfe die Frage auf, so der ehemalige Militäranalysist und Greenpeace-Mitarbeiter William Arkin, ob die Wirkung konventioneller Waffen in „modernen, urbanen und integrierten Gesellschaften“ die Bombardierungen von „legitimen“ Zielen nicht gleichzeitig als „inhuman“ erscheinen läßt.

Durch die Bombenangriffe der Kriegskoalition waren 17 der 20 irakischen Elektrizitätswerke schwer, elf davon vollständig zerstört worden. Selbst vier Monate nach Kriegsende produziert das Elektrizitätsnetz des Iraks nur ein Viertel seiner Vorkriegskapazität.

Bei der Rechtfertigung ihrer Kriegsstrategie zeichnen US-Militärs nun ein neues Bild von der irakischen Bevölkerung. „Die Definition von Unschuldigen gerät hier ein bißchen durcheinander“, so ein Luftwaffenoffizier. Wer im Irak lebe, habe letztendlich auch die Kontrolle darüber, „was in dem Land vorgeht“. Dies steht in markantem Gegensatz zu George Bushs Beteuerung während des Krieges, die USA hätten „nichts gegen die irakische Bevölkerung“.