Slowenien und Kroatien auf der Flucht nach vorn

■ Die in Permanenz tagenden Parlamente der beiden nordjugoslawischen Republiken Slowenien und Kroatien kündigten noch für Dienstag abend den Vollzug ihrer Souveränität an. Unklar bleiben...

Slowenien und Kroatien auf der Flucht nach vorn Die in Permanenz tagenden Parlamente der beiden nordjugoslawischen Republiken Slowenien und Kroatien kündigten noch für Dienstag abend den Vollzug ihrer Souveränität an. Unklar bleiben die konkreten Folgen.

Eigentlich müßten die Menschen in Ljubljana, der slowenischen Hauptstadt, dem großen Tag entgegenfiebern. Heute ist er nämlich da, der Tag „D“, der große geschichtliche Moment, an dem sich die Zukunft Sloweniens entscheiden soll. An diesem Dienstag abend wird in einem feierlichen Akt die staatliche Unabhängigkeit Sloweniens ausgerufen und die von den drei Kammern des Parlaments verabschiedete Verfassung dem Volke übergeben. Slowenien, die nördlichste und mit knapp zwei Millionen EinwohnerInnen kleinste Republik Jugoslawiens, hat damit alle institutionellen Voraussetzungen geschaffen, zu einer unabhängigen, demokratischen Republik im Zentrum Europas zu werden.

Doch die Slowenen sind keineswegs überschwenglich. Ruhig und gelassen gehen die Menschen ihren alltäglichen Arbeiten nach. Von einer überschwenglichen nationalen Begeisterung ist dieser Tage nichts zu spüren. Es scheint niemanden zu irritieren, daß von der Bundesregierung in Belgrad ein ungeheuerlicher rhetorischer Druck entfaltet wird, um die Unabhängigkeitsfeierlichkeiten zu stören. Stirnrunzeln löste bei vielen Slowenen die Nachricht aus, die europäische Gemeinschaft wolle Slowenien auf keinen Fall anerkennen. Warum, so fragen sich viele, reagieren die Westeuropäer in einer solch harschen Weise? Die Antwort ist nicht leicht zu finden. Es werde doch nur vollzogen, was in einer Volksabstimmung am 23.Dezember 1990 mit überwältigender Mehrheit beschlossen wurde. „Der Effekt des europäischen Drucks ist lediglich, daß die Trotzhaltung und bei manchen auch die nationalistischen Gefühle verstärkt werden“, befürchtet Miriam Milharpec, Lektorin eines slowenischen Verlags.

Auch die Politiker haben für die Haltung des Westens keine rechte Erklärung, „wurden wir doch in der Vergangenheit durch Resolutionen des Europäischen Parlaments ermutigt, diesen Schritt zu vollziehen“, erklärte noch am Dienstag Nojze Peterle, der Ministerpräsident. Und Präsident Milan Kucan fand es in seiner gestrigen Pressekonferenz von außen nicht hinreichend honoriert, daß Slowenien immer wieder mit dem Bundesstaat verhandeln wollte. „In ganz entscheidenden Fragen der Rückzahlung der Schulden, die Jugoslawien gemeinsam hat, bekamen wir auf unser Gesprächsangebot nicht einmal eine Antwort aus Belgrad.“ Noch deutlicher wurde der Sozialdemokrat und Präsident der Demos-Regierungskoalition Joze Pucnek gegenüber der taz: „Der Kredit von über einer Milliarde Dollar, den die EG Jugoslawien jetzt gewährt hat, trägt zur weiteren Verschuldung des Staates bei, für die wir uns nicht mehr verantwortlich fühlen können. Wir werden keine Verfügungsgewalt darüber haben, wir sind nicht gefragt worden, warum sollen wir diesen Kredit dann mit zurückbezahlen?“ Er diene doch nur der Verlängerung der Agonie des Bundesstaates. „Doch wir wollen endlich die Ärmel hochkrempeln, wegen dieser Auseinandersetzung wurde schon viel Zeit für die Durchsetzung der Reformen verloren, wir brauchen ein eigenes Banksystem, funktionierende Mechanismen der staatlichen Verwaltung und keineswegs Direktiven aus Belgrad, die nur kontraproduktiv sind.“

Auch in der Bevölkerung sind die Meinungen inzwischen längst festgeklopft. Und das nicht nur in der Hauptstadt Ljubljana. In einem kleinen Dorf nahe der ungarischen Grenze sind sich die Angestellten eines Supermarkts einig: „Über Jahre haben wir den Bundesstaat am Leben erhalten. Ohne den Beitrag unseres kleinen Landes, das mit nur acht Prozent der EinwohnerInnen Jugoslawiens über 25 Prozent des Steueraufkommens erwirtschaftet, wäre Jugoslawien schon längst am Ende gewesen. Besonders Jugendliche sind es, die ihren Unmut in nationalistischen Äußerungen gegenüber den Zuwanderern aus dem Süden Luft zu machen beginnen. Diese Hunderttausenden von Arbeitskräften haben in den letzten Monaten den Stimmungswandel am eigenen Leib zu spüren bekommen. In einem Arbeiterviertel Maribors, der nahe der österreichischen Grenze gelegenen Industriestadt, befürchtet ein aus Novi Sad stammender Metallarbeiter, daß mit dem Zusammenbruch der alten Industrie, vor allem der Stahlwerke, die auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig und auf dem jugoslawischen Markt angewiesen ist, ein Anwachsen der Arbeitslosigkeit verbunden ist. „Wer dann zuerst aus dem Betrieb geschmissen wird, ist wohl klar.“

Von solchen Gedankengängen will Joze Pucnek nichts wissen. „Schon jetzt wurden slowenische Waren in Serbien mit Sondersteuern belegt oder sogar boykottiert. Mit der Unabhängigkeit wird nur etwas nach außen hin offen gemacht, was schon da ist. Der Handel mit Kroatien, Bosnien und Mazedonien wird aber weitergehen wie bisher.“ Da müsse man eben durch. „Wir erwarten einen Rückgang der Produktion um 20 Prozent, doch ist uns dieser Dornenweg lieber als die sich hinschleppenden ungeklärten Verhältnisse.“

Doch auch Pucnek ist anzumerken, daß hinter der demonstrativen Gelassenheit die Spannung zu steigen beginnt. Wie reagieren Bundesregierung und Armee auf die Unabhängigkeit? Ein Eingreifen der Armee und ein Putsch hätten keine Perspektive. „Der Armee mangelt es an Missionen und einem Programm.“ Im Falle eines Putsches wären Europa und die USA über kurz oder lang erst recht gezwungen, ihre Politik zu verändern und die Unabhängigkeit der Republik zu unterstützen. „Wir sind bereit, über alles zu verhandeln“, fügt Präsident Milan Kucan hinzu, „auch über neue Regularien im alten Jugoslawien.“ Eines wird hier deutlich gemacht: Niemand in Slowenien will jetzt auch nur einen Zentimeter vom eingeschlagenen Weg zurück. Erich Rathfelder, Ljubljana