Ost-Kunst im Vorwaschgang

■ Die Nationalgalerie präsentiert ihre gesäuberte DDR-Kunst-Sammlung

Niemand zweifelte an den hehren Motiven. Gern glaubte man dem Kustos der Nationalgalerie, daß »ausschließlich künstlerische Kriterien« für die »kritische Neuordnung« der Sammlung Kunst der DDR ausschlaggebend waren. Zum einen, weil man gestern ohnehin allein nur zur Presse-Präsentation der 28 auf 26 Millionen Dollar geschätzten und geheimnisumwitterten französischen Werke in die Nationalgalerie gekommen war (s. Bericht S. 21). Zum anderen, weil die von ihrem Kustos Fritz Jacobi nebenbei präsentierte DDR- Sammlung, die soeben vom Alten Museum in die Nationalgalerie verbracht wurde, eigentlich richtig nett ausschaut. Und überdies versprach zur prophylaktischen Beschwichtigung, auch noch der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Werner Knopp, daß weiterhin die Betreuung dieser Sammlung durch erfahrene Ostberliner Kollegen garantiert sei.

Das hört sich fast nach wohldurchdachtem Konzept an. Dabei war der Umzug und die damit verbundene Neuordnung allein wegen Rembrandt nötig geworden. Der Holländer wird im September den Schinkel-Bau Unter den Linden füllen und mittels Mammutschau den Hauptstädtern das Metropolenrückgrad stärken.

Wo die DDR-Kunst nach der anstehenden entgültigen Neuordnung der Berliner Museumslandschaft schließlich landen wird, wollte gestern keiner der Verantwortlichen verraten. Doch wer durch das Obergeschoß der Nationalgalerie wandelt, ahnt, wohin die Reise geht: Heim ins kosmopolitisch-gesamtdeutsche Kunstreich, in die Welt der Sinne, der großen Künstler, der l'art pour l'art, in eine schöne Lüge über die vierzigjährige Kunstentwicklung im Osten Deutschlands.

Sicher, so wie hier das Bild der DDR-Kunst gezeichnet wird, hätte sie vielleicht sein können: Die großen Altmeister, der Konstruktivist Hermann Glöckner, der geniale Zeichner Gerhard Altenbourg, der Beinah-Pop- Artist Willy Wolff. Oder auch die berühmten Schulen; die Leipziger, ohne realsozialistische Problem-, sondern allein mit tiefschürfenden Historienbildern, ein bissel Tübke, ein bissel Heisig und der Grenzgänger Stelzmann. Die Berliner mit ihren bröckelnden Häuserfassaden und düsteren Stilleben. Die Karl-Marx-Städter mit ihren experimentierfreudigen Individualisten und schließlich junge DDR-Neoexpressionisten, den »Jungen Wilden im Westen vergleichbar« (Jacobi). Doch so war es leider nicht. Gezeigt wird nur die Hälfte der kunstgeschichtlichen Wahrheit.

Dabei hatte die DDR-Kunst immer zwei Seiten. Auf der einen die wenigen Verweigerer, auf der anderen die wenigen Totalopportunisten und dazwischen unzählige Künstler, die das System, das sie umgab, in ihren Arbeiten mehr oder weniger ernst nahmen. Und nicht zu vergessen, die Millionen Besucher, die auf den großen DDR-Kunstausstellungen mangels kritischer Medien gerade nach jenen »dialogischen Problembildern« aus der sozialistischen Wirklichkeit suchten und die nun in der Nationalgalerie fehlen.

Jacobis neues Konzept verabschiedet sich von der bisher auch von ihm vertretenen und sozio-politisch orientierten Kunstgeschichtsauffassung, die die Kunstwerke nicht nur als Reflexion einer historischen Situation betrachtete, sondern diese auch in Epochenabschnitte wie z.B. der vor und nach dem VIII. Parteitag gliederte. Doch nun wurde die chronologische Anordnung der Arbeiten aufgegeben, und für die damalige Kunstdiskussion ausschlaggebende Werke sind völlig verschwunden. Mit dem Anspruch einer neuen Objektivität wurde die Sammlung ihres historischen Bezuges, der Widersprüchlichkeit impliziert, beraubt.

Die aktuelle Präsentation ist ein — vorläufiger — Versuch, DDR-Kunst kompatibel zu machen. Vorläufig deshalb, weil ihr Aufenthalt in der Nationalgalerie befristet ist und sie — sollte kein Wunder geschehen — nach einer zweiten »qualitativen« Säuberung in der geplanten Gesamtberliner Nachkriegs-Moderne-Sammlung aufgehen wird. Die personellen Weichen dafür sind bereits gestellt. Denn entgegen der Versicherung des SPK-Präsidenten wird von allen DDR-Kunst-Spezialisten des Hauses wohl allein der für diese Neuordnung verantwortliche Fritz Jacobi als Ostler den Anschluß überleben. André Meier