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Den Kubanern stehen harte Zeiten bevor

Lebensmittellieferungen aus der UdSSR deutlich zurückgegangen/ Zugeständnis Gorbatschows für G-7-Teilnahme?/ Benzin und Brot rationiert/ Talfahrt auch in der einst vorbildlichen Gesundheitsversorgung/ Exilkubaner sind schon auf dem Sprung  ■ Von Ralf Leonhard

Managua (taz) — Den an Entbehrungen und Schlangestehen gewöhnten Kubanern stehen noch härtere Zeiten ins Haus. Mit Boris Jelzin ist vor kurzem jener Mann zum Präsidenten der größten und wirtschaftlich potentesten Sowjetrepublik gewählt worden, der für die Einstellung jeder Vorzugsregelung für Kuba eintritt.

Und Gorbatschow, dem es gelungen ist, sich zum Wirtschaftsgipfel der großen Sieben in London einzuladen, wird als Gegenleistung für die dringend benötigte Finanzhilfe des Westens um politische Zugeständnisse nicht herumkommen. Es steht zu erwarten, daß der Nobelpreisträger vor allem solche Konzessionen macht, die ihm innenpolitisch wenig schaden. Grund genug zur Sorge für Fidel Castro, der vor einigen Wochen sogar das Brot rationieren mußte, weil die Sowjets ihren Lieferverpflichtungen für Weizen nicht voll nachkommen.

Unter diesen Umständen ist es erstaunlich, in welch strahlenden Farben Kubas Parteioffizielle ausländischen Gästen ihr Bild von der Zukunft malen. Fidel Castros Rechnung mag aufgegangen sein: Der Rausch des Aufbruchs zum Kapitalismus in Osteuropa weicht langsam einer trüben Katerstimmung. Es gibt auch keine Veranlassung zur Hoffnung, daß sich ein kapitalistisches Kuba zu einer wirtschaftlich prosperierenden Musterdemokratie entwickeln würde. Daher hat Fidel Castro allen Zweiflern erst kürzlich wieder erklärt, ein Mehrparteiensystem komme in Kuba nicht in Frage: „Wir haben eine Partei der Revolution, eine Partei der Yankees brauchen wir nicht.“

Ein Mehrparteiensystem ist wohl auch nicht das Problem, das der großen Mehrheit der Bevölkerung unter den Nägeln brennt. Vielmehr hoffen die Kubaner auf den Tag, an dem sie ihre Grundbedürfnisse ohne Schlangestehen befriedigen können. Heute bietet nicht einmal der Schwarzmarkt ein Ventil für Kaufkräftige. Schuld daran seien nicht nur die Sowjets, die ihre Lieferverpflichtungen immer unzureichender erfüllen. Mann und Frau auf der Straße glauben vielmehr, daß die große Knappheit mit den Panamerikanischen Sportmeisterschaften zusammenhängt, die im August in Havanna stattfinden sollen. Der vierte Parteitag, das politisch wichtigste Ereignis des Jahres, wurde auf ein noch unbekanntes Datum im letzten Jahresdrittel verschoben, weil Staat und Parteiapparat alle Ressourcen in die Sportveranstaltung stecken. Die Brotrationierung im April traf die kubanischen Haushalte hart, weil Brot zu den wenigen Grundnahrungsmitteln gehört, die frei, also ohne Rationierungskarte, verkauft wurden. Doch ist die Krise schon länger zu spüren. Auf dem Land werden die Traktoren von Ochsengespannen verdrängt und der öffentliche Verkehr in den Städten ist noch zäher geworden, Taxis sind aus dem Stadtbild von Havanna fast verschwunden. Ja selbst vor der vorbildlichen Gesundheitsversorgung, dem Stolz der Revolution, hat die Talfahrt nicht haltgemacht: Auch durch Medikamentenspenden der Solidarität in Deutschland kann der Spitalbetrieb heute nicht voll aufrechterhalten werden.

Die Bautätigkeit konzentriert sich auf Hotelprojekte für den Massentourismus und Wohnungsbau in der Provinz. Beides sind strategische Projekte, die der Revolution das Überleben sichern sollen. Urlauber aus Europa und Nordamerika könnten in ein paar Jahren zum wichtigsten Devisenbringer werden. Und auf dem Land, wo die Versorgung besser und die Unzufriedenheit geringer ist, herrscht jene soziale Stabilität, die für einen friedlichen Ausweg aus der Krise unabdingbar ist.

Wie dieser Ausweg aussehen soll, weiß noch keiner so recht. Sicher ist, daß die Rio-Gruppe, in der Mexiko und die wichtigsten südamerikanischen Staaten zusammengeschlossen sind, jede Gewaltlösung — sei es Volksaufstand oder US-Invasion — wegen der verheerenden Auswirkungen auf den Rest des Kontinents vermeiden will. Mexiko und Schweden bemühen sich aktiv um ein Tauwetter zwischen Washington und Havanna. George Bush dürfte hingegen darauf setzen, daß der ehemalige Erzfeind Sowjetunion ihm die Destabilisierungsarbeit abnimmt. In Havanna hat man mit Unruhe beobachtet, wie hochgradige Delegationen aus Moskau mehrmals mit den Führern des kubanischen Exils in Miami zusammengetroffen sind. Angebahnt wurde dieser Dialog vom außenpolitischen Berater des Obersten Sowjet, Andrej Kortunow, und vom kubano-amerikanischen Unternehmer Jorge Mas Canosa, der kein Geheimnis aus seinen Ambitionen macht, Kubas nächster Präsident zu werden. Die Exilkubaner sparten gegenüber den Sowjets nicht mit verlockenden Angeboten: Sie würden nach Castros Sturz die kubanischen Schulden bei der UdSSR begleichen und in der Sowjetunion großzügig investieren. Bisher konnten sie zwar nicht erreichen, daß Gorbatschow den auf sowjetisches Öl und sowjetischen Weizen angewiesenen Castro fallen läßt, doch ist abzusehen, daß das im Dezember unterzeichnete Handelsabkommen genausowenig erfüllt wird wie das von 1990. Nicht, weil die Sowjets die Kubaner aushungern wollten, sondern weil die Deregulierung der eigenen Wirtschaft den Staatshandel immer schwieriger macht, weil die Transportkapazität der sowjetischen Handelsflotte nicht ausreicht und weil auch die Kubaner ihren Teil des Abkommens nicht einhalten können. Schwerpunkt des Abkommens ist weiterhin der Austausch Zucker gegen Öl; allerdings in einem für Kuba ungünstigeren Verhältnis. Die sowjetische Wirtschaftshilfe wurde schon im November durch ein Votum des Obersten Sowjets um drei Viertel gekürzt.

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