Das Déjà vu im verschwundenen Raum

■ Arbeiten von Thomas Wörgötter

Die Galerie Wiensowksi und Harbord empfängt ihr Besucher derzeit in einer merkwürdig vertrauten Atmophäre. Man möchte meinen, die dort ausgestellten vier neuen Arbeiten von Thomas Wörgötter schon einmal irgendwo, irgendwann gesehen zu haben. Wörgötter sucht sich elementare Gebrauchsgegenstände — einen Tisch, Zeitungen, Lampen, einen Rucksack —, aus denen er seine Vexierbilder vermeintlicher Sicherheiten baut. Bekanntes, allzu Bekanntes dient ihm als Grundstock — und dem Betrachter als Einstieg.

Die Gegenstände verfremdet Wörgötter mit minimalisiertem Eingriff und einer Vorliebe für karge Ästhetik. Er hält den Dingen gewissermaßen einen Spiegel vor. Aus der Verdoppelung ihrer Funktionalität wird Disfunktionalität, die Gegenstände entziehen sich ihrer eigentlichen Nutzung; etwas Gegenläufiges, Neues entsteht. Wörgötter will Sehgewohnheiten verändern, will sichtbar machen, was zuvor verborgen blieb.

Diese Absicht formuliert er in frappierender Eindeutigkeit, die noch nicht einmal mehr einen Titel benötigt. Den Tisch beispielsweise versieht er mit einer zweiten Platte, die spiegelbildlich zum ersten am Boden angebracht ist und somit ihre »Unter«-seite zeigt, buchstäblich das, was man von der ersten Platte nicht sehen kann. Die Offensichtlichkeit dabei ist kalkulierte Simplizität. Sie soll den Denkansatz, der hinter den Arbeiten steht, deutlich machen. Wörgötter ist, obwohl er dreidimensional arbeitet, kein Plastiker. Er ordnet seine Objekte und Installationen einer zuvor klar umrissenen Idee, einem Konzept unter und versteht seine Erzeugnisse primär als Paraphrasen der Idee.

Allerdings beschränken sich diese Umschreibungen, die Kunstwerke, nicht auf Selbstreferenz. Sie geben nicht nur Auskunft über die Voraussetzungen ihrer Entstehung, sondern lassen sich als eigenständiges Einzelnes und gleichzeitig das Ganze konstituierender Teil in mehrere Sinnschichten spalten und in vier inhaltlich voneinander getrennte und doch mit dem Konzept verbundene Stufen einteilen. Während sich die gerade nicht mehr lesbaren Zeitungsseiten hinter Milchglas dem täglichen Informationsfluß gegenüber ausgesprochen kritisch präsentieren, steht der Tisch eher für Intimität, für persönliche Handschrift, den Rückbezug auf den Ausgangspunkt. Schließlich — als intellektuelles Spiel — für die Zwischenstufe (schon dreidimensional, aber noch nicht durch eine Mittelachse geteilt) der materiellen Ausformung der Idee auf dem Weg von den zweidimensionalen Zeitungsseiten zu den exakt senkrecht aufeinandergestellten, raumgreifenden schwarzen Lampen.

Die Lampen bilden die dritte Stufe, die nun, nach der Kritikfähigkeit, nach Spiel- und Selbstreferenz, die Idee fast vollständig zum Verschwinden bringt — so sehr dominiert deren formalästhetische Wirkung. Die beiden Lampen werden zu drei rundlichen Figurationen im Raum, welcher paradoxerweise bei längerer Beobachtung flach wird und nur noch aus Vertikalen und der imaginären Spiegelebene der Lampen zu bestehen scheint und sich so auf einen Nullpunkt zusammenzieht. Das vierte Ausstellungsstück, der Rucksack, stellt nicht etwa eine weitere Entwicklungsstufe dar, sondern markiert, schon durch sein lappiges Material, einen Kontrapunkt zu den vorangegangenen, durch Härte und Klarheit bestimmten Strukturen. In dieser Abweichung liegt dessen Kongruenz mit dem Konzept, aus funktionalen, geschlossenen Systemen auszuscheren. Die Abweichung von der Idee wird von der Idee der Abweichung eingeschlossen. Der Rucksack, das große Rätsel des Eröffnungsabends, wird so zum Bild im Bild, und die Ausstellung zu einer runden Sache. Ulrich Clewing

Noch bis zum 14.7. in der Galerie Wiensowski und Harbord, Goethestr. 69, 1-12, Fr-So 15-19 Uhr