Alles beim Alten?

Die Kommunikation in der DDR war gestört. Mitverantwortlich für gerissene Transmissionsriemen waren die Kommunikatoren, die Journalisten. Ihre Schizophrenie dauert bis heute fort. Unser Beitrag zeichnet die Entwicklung vom „idealistischen Aufbruch“ der fünfziger Jahre bis zur „Abwicklung“./ 1.Teil  ■ STEFAN PANNEN

BERLIN

Als das Neue Forum im September 1989 mit seinem Gründungsaufruf an die Öffentlichkeit trat, lautete der erste Satz: „In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört.“ Daß die Diagnose zutraf, bewiesen die DDR-Medien am nächsten Tag: Das Papier der Bürgerbewegung wurde nirgendwo erwähnt. Nur die führenden Genossen wurden vom Ministerium für Staatssicherheit mit Information Nr.416/89 benachrichtigt, daß sich da etwas anbahnte. Der Normalbürger des Landes hingegen erfuhr aus den DDR-Zeitungen und -Programmen nichts über die Gründung des Neuen Forum, die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft blieb gestört. Die Diagnose war nicht neu.

Im Lande kursierten Witze wie dieser: Kommt ein Mann aufs Polizeirevier und bittet um einen Ausreiseantrag. „Wohin denn?“ fragt der Volkspolizist. „In die DDR“, antwortet der Mann. „Was?“ wundert sich der Vopo, „in die DDR? Da sind sie doch!“ „Nee, ick will in die, von der inne Zeitung steht.“ Derlei Volksgemurmel blieb der Staatssicherheit natürlich nicht verborgen. Bereits bevor das Neue Forum mit seiner Medienkritik an die Öffentlichkeit ging, analysierte das MfS am 9.9.1989 die motivbildenden Faktoren bei Ausreisewilligen und fand unter anderem „Unverständnis über die Medienpolitik der DDR“. Quintessenz der Darstellung: „Das wirkliche Leben sei ganz das Gegenteil von dem, was in den Massenmedien dargestellt wird.“ Zwei Tage später, am 11.9.89 wird auch von Mitgliedern und Funktionären der SED berichtet, daß sie „zunehmend offener (...) Unwillen und Enttäuschung über die Informationspolitik“ äußerten. „Besonders beachtenswert erscheinen (...) Hinweise, wonach journalistisch tätige Personen ihre Verbitterung über fortgesetzte administrative Entscheidungen der Abteilung Agitation/Propaganda des ZK der SED bezüglich der Qualität, der Eignung und der Nutzung von zur Veröffentlichung vorgeschlagenen Artikeln zum Ausdruck bringen.“ Am 16.Oktober 1989 warnte das MfS noch einmal: „In zunehmendem Maße wird (...) Kritik geübt an den Genossen Mittag und Herrmann. Sie werden im wesentlichen persönlich verantwortlich gemacht für die Situation in der Volkswirtschaft und den Vertrauensverlust in der Bevölkerung durch die Gestaltung der Medien- und Informationspolitik.“

Die Warnung kam zu spät. Am nächsten Tag wurde Erich Honecker abgesetzt. Das Weitere ist bekannt: Auf Honecker folgte Egon Krenz, am 4.11.1989 demonstrierte eine Million Menschen auf dem Berliner Alexanderplatz „Für Medienfreiheit entsprechend der Inhalte der Artikel 27 und 28 der Verfassung der DDR“, am gleichen Abend noch entschuldigte sich die für das Fernsehen zuständige SED-Kreisleitung bei den „Bürgern der DDR“ dafür, daß sie es zugelassen habe, „daß unser Medium durch dirigistische Eingriffe mißbraucht wurde“. Es begann die Zeit der halbherzigen Selbstbezichtigungen.

Am 9.November verkündete Günter Schabowski in seiner legendären Pressekonferenz en passant den Fall der Mauer. Im Trubel, den die Nachricht verursachte, ging unter, daß Schabowski zuvor vor dem 10. Plenum des ZK der SED am diesem und dem vorhergegangenen Tag berichtet hatte, auf dem man sich unter anderem mit einer Änderung der Medienpolitik befaßt hatte. Die Dokumente der Tagung sind bislang unveröffentlicht, an dieser Stelle wird erstmals daraus zitiert.

Schabowski selbst hatte am Vormittag vor dem ZK-Plenum gesprochen: „Die Stimmung in den Redaktionen (...) ist natürlich im Unterschied zu manchen anderen Betrieben besonders geprägt von der Verbitterung darüber, daß die Journalisten pauschal für die Fehler verantwortlich gemacht werden, die sie in der Vergangenheit publizistisch mit vertreten haben, obwohl sie im Grund überhaupt keine Möglichkeit hatten, etwas dagegen zu tun.“ Noch nicht jeder hatte zu diesem Zeitpunkt begriffen, was sich verändert hatte. So eröffnete Egon Krenz, der sich über die Berichterstattung vom ZK- Plenum in den Medien geärgert hatte, den Tag mit einer Standpauke im alten Stil: „Ich habe gestern das Vertrauen des Zentralkomitees bekommen in der Annahme, daß wir gemeinsam eine Politik durchsetzen wollen, die Politik der Erneuerung, aber nicht die Politik der Zulassung der Opposition in Presse, Rundfunk und Fernsehen. (...) Manche Journalisten verstehen sich offensichtlich plötzlich als Privatpersonen, und ich denke, sie müssen sich wieder als Mitglieder der Partei verstehen.“

Bunkermentalität bis zum Schluß

Das war am Morgen des 9.November, dem Tag als die Mauer fiel. Am darauffolgenden Freitag, nach einer Nacht, in der ganz Berlin auf dem Kudamm getanzt hatte, tagten die Genossen ungerührt weiter, als sei nichts gewesen, und widmeten sich ausführlichen Personaldebatten. Erst der stellvertretende Stasi-Chef Rudi Mittig informierte am späten Vormittag: „Bis 4 Uhr heute morgen passierten Zehntausende DDR-Bürger die neuen Grenzübergangsstellen in Westberlin.“

Doch auch diese Mitteilung weckte zunächst niemanden aus der Bunkermentalität. Gegen Mittag meldete dann Egon Krenz: „Es machen sich Panik und Chaos breit.“ Wobei bezeichnend ist, was den deutschen Politiker Krenz am meisten beunruhigte: „Arbeiter verlassen Betriebe.“ Da durfte die Partei nicht untätig bleiben und der Generalsekretär schlug vor, die Tagung vorzeitig zu beenden, „damit wir an unsere Kampfplätze gehen können“. Das wollten die Genossen gerne tun, zuvor war jedoch noch eine Personalsache zu erledigen.

Es war nicht die erste auf der zehnten und letzten Tagung des Zentralkomitees der SED. Doch während man in ähnlichen Fällen zuvor endlose Debatten geführt hatte, besticht der folgende Vorgang durch seine Kürze:

Vors. Egon Krenz: Es gibt den Vorschlag, Genossen Joachim Herrmann aus dem Zentralkomitee auszuschließen. Achim, möchtest Du Dich dazu äußern?

Joachim Herrmann: Ich trage alle Konsequenzen aus den Fehlern, die hier zur Sprache gekommen sind, im Zusammenhang aus (sic!) der Lage, die dadurch entstanden ist.

Vors. Egon Krenz: Dankeschön. Gibt es Fragen? Gibt es gegenteilige Auffassungen? Wenn das nicht der Fall ist, stimmen wir darüber ab. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — eine Stimmenthaltung. Damit ist der Beschluß gefaßt. Ich habe ihn nicht zu kommentieren.

Der Abgang des Joachim Herrmann war sang- und klanglos. Dabei war er einst einer der Mächtigsten im Lande gewesen. Leitete er doch jahrelang die Abteilung Agitation und Propaganda beim Zentralkomitee. Von dort wurden alle Medien des Landes „angeleitet“, wie es so schön hieß, manche mehr, manche weniger. Die einen erfuhren nur mittelbar, was Sache war, zum Beispiel über das Presseamt beim Vorsitzenden des Ministerrates, das wöchentlich Presseinformationen herausgab, in denen zu lesen stand, worüber zu berichten war — und worüber besser geschwiegen werden sollte.

Tabernakel für die ewigen Wahrheiten

So gab es in jeder Redaktion der Republik Tabulisten mit Stoffen und Worten, die bei der Berichterstattung unbedingt zu meiden waren. Dazu gehörten Begriffe wie „Staatszirkus“ (aus Furcht vor Kalauern) oder „Volksschwimmbad“ (um der Frage zu entgehen, für wen, wenn nicht das Volk, ein Bad bereit stehe); Themen wie Formaldehyd oder Atomkraft wurden mit dem Argument der Panikmache verbannt, über Formel-1-Rennen, Bowlingbahnen und Barockschlößchen sollte nicht berichtet werden, um keine Neidgefühle beim DDR-Leser entstehen zu lassen, dem das entging; aus dem gleichen Grunde sollte auf den Fotos von Staatstreffen kein „Protokollobst“ mehr zu sehen sein. Der Crème des DDR-Journalismus wurde jeden Donnerstag um 10 Uhr die besondere Ehre zuteil, im Raum 3119 des ZK- Gebäudes in Berlin-Mitte den „Argumentationshilfen“, „Argus“ genannt, zu lauschen, die Joachim Herrmanns getreuer Adlatus Heinz Geggel zu geben pflegte.

Die Nachhilfe zur Argumentation war oft banal. Einer, der dabei war, hat Protokoll geführt und seine Notizen unter dem Pseudonym Ulrich Bürger veröffentlicht. Ein Beipiel: „Die Bemerkungen E. H. über unsere Massenmedien waren ein Appell, schwer zu arbeiten, um gute und überzeugende Arbeit zu leisten. Journalistische Qualität! Nicht so viel abschreiben! Beweglicher sein! Bessere Argumente verwenden!“ Bis diese jedoch von der Sitzung im ZK zu den Redaktionen gelangten, mußte ein groteskes „Stille-Post“- Spiel in Gang gesetzt werden, da es keine schriftliche Fassung der „Argus“ gab. So informierte der Vorsitzende des Staatlichen Komitees für den Rundfunk den Intendanten des Hörfunks, der instruierte die Chefredakteure der Sender, worauf diese die Redaktionsleiter anwiesen, was sie ihren Redaktionen mitzuteilen hatten. Die Ergebnisse konnten am Ende durchaus differieren, wie Ulrich Bürger berichtet: „Einmal trafen sich wieder die Spätdienstler in der Kantine zum Programmaustausch. Bis auf einen hatten in ihren Redaktionssitzungen alle etwas über die Renft-Combo gehört, aber jeder verfügte über anderes Grundwissen: ,Die sollen schlimme Sachen gespielt haben‘, ,Die sind abgehauen‘, ,Die sind drüben auf Tournee‘, ,Von denen darf bei uns nichts mehr gebracht werden‘ — viele Bächlein flossen aus dem einen Quell.“

Es wird häufig übersehen, daß die SED über eine sehr direkte Möglichkeit verfügte, auf die Journalisten Einfluß zu nehmen. Wie in allen Betrieben gab es auch in den Medien Betriebsparteiorganisationen. Die jeweiligen Parteisekretäre redeten stets mit, wenn es um die Vergabe von Posten und Aufträgen ging. Und die Parteimitglieder unter den Journalisten — das waren die meisten — wußten, daß ihnen stets ein Parteiverfahren drohen konnte, wenn sie in Wort und Bild vermeintlich die sozialistische Ordnung gestört hatten. Der Lenkungsmechanismen gab es mithin viele. Dennoch verwahrten sich die DDR-Oberen stets dagegen, wenn unterstellt wurde, daß die Medien der Republik zensiert seien. Noch 1990, nach seinem Sturz, beharrte Erich Honecker: „Aber die Presse lief ohne Zensur. Rundfunk und Fernsehen liefen ohne Zensur. Nur kraft des Verantwortungsbewußtseins des Einzelnen wurde die Sache gestaltet. Der Adamek war verantwortlich für sein Fernsehen, der andere für den Rundfunk. Der Joachim Herrmann mußte die Anleitung geben und kontrollieren. Er war verantwortlich für das 'Neue Deutschland‘. Und wenn er Mist gebaut hatte, dann wurde er kritisiert.“

Genau davor scheint Herrmann panische Angst gehabt zu haben. Einer seiner Mitarbeiter, Dieter Langguth, berichtete: „Beim Mittagessen an der langen Tafel der Politbüromitglieder, mit Honecker an der Spitze, wurde Linie gemacht, gab es Wertungen, Meinungen, Stimmungen. Fast täglich kam Herrmann mit der bekritzelten Rückseite des Speisezettels (Eierkuchen 0,90, Grünkohl mit Knacker 1,80) wieder runter: „Der Fackelzug zum 40. Jahrestag muß groß rauskommen.“

Auch Günter Schabowski verwies darauf, daß Honecker sich sehr wohl für die Medien interessierte — ohne jedoch deren Vertreter besonders zu mögen: „Die Zeitung hat er für sehr wichtig gehalten, die war ihm so wichtig, daß er sich selber damit befaßt hat. Aber die Redakteure zum Beispiel hat er nicht sehr geschätzt. Das waren für ihn immer Leute, die die Aufgaben irgendwie nicht richtig erfüllten.“

Der DDR-Journalist war ausersehen, den Tabernakel für die ewigen Wahrheiten der Partei zu errichten. Doch er sollte nicht nur verkünden, was ihm von oben herab zuteil wurde. Seine Leiterfunktion war eine doppelte. Er leitete zum einen die Informationen der Partei an die werktätigen Massen weiter, darüber hinaus sollte er diese eigenständig anleiten, war er doch per Definition ein „Funktionär der Partei der Arbeiterklasse, (...) der mit journalistischen Mitteln an der Leitung ideologischer Prozesse teilnimmt. (...) Er hilft, die Arbeiterklasse und alle Werktätigen auf die vorrangigen Aufgaben zu orientieren, mobilisiert sie zu ihrer Lösung und trägt in diesem Zusammenhang dazu bei, gute Beispiele zu schaffen.“ So hieß es im Wörterbuch der sozialistischen Journalistik unter dem Stichwort „Journalist“. Wo die Presse ein Instrument des Klassenkampfes ist, steht der sozialistische Journalist vorne auf der Barrikade, mancher sogar ganz vorne. Einige nahmen die Forderung nach der Übernahme von Leitungsfunktionen wörtlich. Und so war zwischenzeitlich von 26 Mitgliedern und Kandidaten des Politbüros nahezu jeder vierte von Haus aus Journalist.

Journalismus und Gesellschaft

Wenn im Gründungsaufruf des Neuen Forum von der gestörten Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft die Rede war, wurde damit vorausgesetzt, daß es so etwas wie „Gesellschaft“ in der DDR gegeben habe. Das ist jedoch zweifelhaft. Ende der achtziger Jahre machten sich Mitarbeiter der Humboldt-Universität Gedanken über die Krise der DDR und ihre Ursachen. Sie entdeckten „in der wachsenden Ohnmacht der Individuen gegenüber den geschaffenen gesellchaftlichen Strukturen den zentralen Punkt. Die Vergesellschaftung hat fast ausschließlich Formen der Verstaatlichung angenommen.“ „Verstaatlichung“ — das war gleichbedeutend mit dem Diktat der „Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei“, deren Führungsanspruch in Artikel1 der DDR-Verfassung festgeschrieben war. Wenn es um die Bestimmung der Plankennziffern für Kombinate und volkseigene Betriebe ging, wenn festgelegt wurde, welche Bücher wann und wo erscheinen, welche Bilder wann und wo ausgestellt, welche Stücke wann und wo gespielt werden durften, wenn in den Sportvereinen die Werktätigen den Leibertüchtigten und die Besten von ihnen zu olympischen Ehren gelangten, wenn Kommentare geschrieben, Filme gedreht, Musikprogramme geschnitten wurden, im Wohnblock, im Kleingarten oder im Kulturzirkel — stets hatte die Partei die Finger im Spiel, mischte mit durch die jeweilige Organisation, hatten ihre hauptamtlichen Sekretäre das Sagen, und ließ sich ihr Politbüro, wenn das alles nicht reichte, Bericht erstatten über das, was die Kundschafter des Erich Mielke herausfanden oder glaubten herausgefunden zu haben.

Was Jürgen Habermas seinerzeit im „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ für die bürgerliche Gesellschaft prophezeit hatte, die „Verstaatlichung der Gesellschaft“, — in der anti-bürgerlichen DDR wurde sie Wirklichkeit. Gerade die Medien wurden Teil dieser Verstaatlichung. Sie dienten mehr und mehr nur noch zur Legitimation der Führungseliten. Es gab keinen Pluralismus der Medien im Lande, gegenüber dem kapitalistischen Ausland schirmte man sich ab, so gut es ging. Bundesdeutsche Zeitungen mußten an der Grenze abgegeben werden, im Äther hingegen gab es keine Zollschranken. Eine Ideologie als Legitimation, kein Pluralismus nach innen, Abschottung nach außen — damit weist bereits das Subsystem Medien die Kennzeichen auf, die das Gesamtsystem DDR als „geschlossene Gesellschaft“ erscheinen lassen.

Der gerissene Transmissionsriemen

Indem die Herren Mittag, Herrmann und Co. und ihre Abteilungen beim ZK der SED die Entscheidungsprozesse in Wirtschaft und Medien okkupierten, rissen diese beiden elementaren Transmissionsriemen zwischen der staatlichen und der privaten Sphäre. Die Bürger der DDR zogen sich daraufhin in letztere zurück. Am Arbeitsplatz flüchteten sich viele in geduldiges Nichtstun, vor dem Bildschirm setzten sie sich in die erste Reihe zu ARD und ZDF. Das Verschwinden der Gesellschaft in der DDR bedeutete für den Einzelnen, daß er nicht zwischen mehreren Rollen wechseln konnte, sondern lediglich die Wahl zwischen der offiziellen und der privaten Rolle hatte. Die Ostberliner Therapeutin Annette Simon beschrieb dies unlängst in der taz: „Bei uns war alles so eindeutig und schwarz-weiß, entweder man war oppositionell oder angepaßt und kaum etwas dazwischen. Heute ist alles ungeheuer mehrdeutig und differenziert — sowohl die Menschen als auch die Möglichkeiten.“ Die trostlose Alternative zwischen Opposition und Anpassung erzeugte ein kollektives gespaltenes Bewußtsein. Bereits im Schulalter lernte man, im Unterricht anders zu reden als auf dem Schulhof. Da die Schizophrenie schon im Kindesalter eintrainiert wurde, hatten sich DDR-Bürger und ihr Staat nichts mehr zu sagen. Auf der Beziehungsebene lebte man wie in einer zerrütteten Ehe nebeneinander her, die Inhaltsebene war geprägt von Tabuzonen, über die nicht öffentlich geredet werden durfte. Auf Dauer wird eine derartig schiefe Kommunikationsstruktur durchschaut. Folgerichtig trug in den achtziger Jahren der status quo des „Arrangements“ und der „Schizophrenie“ nur noch bei einem Teil der Bevölkerung. Je weiter der Machtanspruch der SED und die subjektive Befindlichkeit der DDR-Bürger auseinanderklafften, umso distanzierter und kritischer standen letztere dem allgegenwärtigen Apparat gegenüber. So entstehen Revolutionen.