Klasse statt Masse

■ Die Kieler Woche wird zur Eliteveranstaltung/ Hobbysegler ohne Sponsoren bleiben an Land

Kiel (taz) — Noch bis zum Wochenende blickt die Segelwelt nach Kiel zur 97. Kieler Woche. Das größte Segelsportereignis der Welt bringt neun Tage Trubel, Heiterkeit und Kultur in die sonst so steife Nordmetropole. In der Innenstadt und auf der Förderpromenade feiert die Kieler Bevölkerung ihr gewohntes Volksfest, „die Demonstration einer lebendigen Stadt für den Frieden“, wie es die Stadtpräsidentin Silke Reyer zur Eröffnung proklamierte. Draußen vor dem Olympiahafen Schilksee segeln derweil 3.700 Seglerinnen und Segler mit ihren 1.400 Booten, eskortiert von einigen Kriegsschiffen, gegeneinander an.

„Klasse statt Masse“, hatten die Veranstalter vom ebenso alteingesessenen wie feinen Kieler Yacht Club als Motto für den Regatta- Reigen ausgegeben und kurzerhand die Teilnehmerzahl auf 90 Schiffe für jede der 20 Bootsklassen begrenzt. Zudem segeln nur noch drei Bootsklassen auf jeder Regattabahn. So wollen sie das Gedränge auf hoher See mindern, damit im Jahr eins vor Barcelona die medaillenhungrigen Stars im Kampf um das Olympiaticket in der Kieler Bucht ungestört kreuzen können.

Die Kieler Woche wird so Jahr für Jahr mehr zum Treff der Europa- und Weltmeister — auf Kosten von Hobby-Regattaseglern und den nicht-olympischen Klassen. Ganz geklappt hat das Vorhaben in diesem Jahr noch nicht. Viele Herren aus der internationalen Seglerelite vom Flying Dutchman zogen die Teilnahme an der Europameisterschaft, die am Wochenende beginnt, vor. Unverständlich für die Kieler Veranstalter, die nun in den Klassenverbänden dafür kämpfen wollen, daß der Termin ihrer Woche zur Ausschlußzeit für andere Großereignisse im Segelsport wird. Am liebsten weltweit, denn auf internationales Flair, 35 Nationen nehmen diesmal teil, ist man in Kiel besonders stolz.

Gewinnen sollen aber die Deutschen, und die kreuzen sich auf der Dreiecksbahn auch tapfer in die oberen Ränge. Neben Olympia- Teilnahme geht es ihnen vor allem um wichtige Punkte für die Kadereinstufung. Zu den sportlichen Highlights der ersten Tage gehören vor allem die Frauen der 470er Jollen. Gleich drei Teams fanden sich nach vier von sechs Wettfahrten unter den ersten fünf. Und täglich gibt es deutsche Tagessiege in den verschiedenen Klassen zu vermelden. Am Ende entscheidet allerdings das beste Punktekonto aller Wettfahrten darüber, wer als Klassenbester die heimische Vitrine mit weiteren Pokalen füllen kann. Nicht mehr erreichbar scheint dies für Jochen Schümann, der mit seiner Crew auf Tauchstation gegangen ist. Jahrelang steuerte er den Soling in der Kieler Woche auf Platz eins. Diesmal dümpelt er auf Rang zehn herum.

Das wichtigste Wort nach „Gewinnen“ heißt für Aktive und Ausrichter der Segelparty mit Regatta „Sponsoring“. „Ich habe allein neun Anfragen von Seglern erhalten“, stöhnt der Sponsor-Chef einer Brauerei, der allerdings mitnichten den „Lebenswandel“ einzelner Seglerinnen und Segler finanzieren möchte. Lieber will er als Gönner ganze Klassen mit Finanzspritzen aufpäppeln. Doch auch jetzt fällt es schon auf: Kaum jemand kommt ohne den bunten Schriftzug auf dem Schiff und einem herzlichen Dank an den Mäzen auf den Lippen. Kaum ein Abend vergeht ohne Sponsoren-Party oder Après Sail im Sponsorenzelt.

Sponsoren ist es auch zu verdanken, daß die Kieler Woche zu einem schlappen Vorspiel für den absoluten Höhepunkt, das „Match Race“, degradiert wird. Dazu treten am Wochenende die Klassenbesten, die sich zuvor an sechs Regatta-Tagen aus dem großen Feld nach vorne segelten, in identischen Yachten gegeneinander an. Nach einem Fight Schiff gegen Schiff im K.o.-System bleibt am Ende der Segelkönig von Kiel zurück. Die Kieler sind glücklich, denn sie bekommen damit zum Abschluß ihrer Woche eine Segelshow direkt in die Stadt geliefert. Und den Seglerinnen und Seglern geht es um die Aufnahme in den Kreis der Match- Race-Profis — und damit um viel Geld. Rainer Kirchhefer