Stromdeal kontra Stadtwerke

Stendal in Sachsen-Anhalt hat die Klage gegen die Treuhandanstalt wieder aufgenommen/ Kommunen streiten um Eigentumsansprüche/ Forst geht vors Verfassungsgericht in Karlsruhe  ■ Von Irina Grabowski

Den umstrittenen Stromvertrag in der Tasche, haben die westdeutschen Energiegiganten RWE, PreussenElektra und die Bayerischen Elektrizitätswerke geglaubt, daß sie den neuen Bundesländern ungestört ihren Investitionssegen überhelfen können. Doch immer mehr Gemeinden und Städte wollen die kommunale und regionale Stromversorgung — eine der wenigen lukrativen Einnahmequellen — in eigener Regie, sprich Stadtwerken, betreiben. Der Druck auf die Treuhandanstalt, die für den auch juristisch bedenklichen Stromdeal verantwortlich ist, wächst.

Als Vorreiter hat die Stadt Stendal (Sachsen-Anhalt), die ihre alten Stadtwerke von 1866 wieder zum Leben erwecken will, im März dieses Jahres beim Magdeburger Verwaltungsgericht eine Klage gegen die Berliner Behörde eingereicht.

Streitpunkt ist die Weigerung der Treuhand, Kraftwerksanlagen und Verteilernetze der ehemaligen Energiekombinate in kommunales Eigentum zu überführen. Dabei ist der Rechtsanspruch im Kommunalvermögensgesetz, daß vor allem auf Initiative der Fraktion Bündnis 90/Grüne mit Unterstützung der SPD noch von der Volkskammer verabschiedet wurde, gesichert. Danach stehen den Kommunen auf dem Energiesektor 100 Prozent der „volkseigenen Anteile“ zu. Übrigens schreibt auch das Treuhandgesetz eine Pflicht zur Kommunalisierung vor. Der Einigungsvertrag, auf den sich die Treuhand beruft, sieht in den „volkseigenen Anteile“ lediglich Kapitalbeteiligungen in Form von Aktien und schraubt zudem die Ansprüche der Kommunen auf 49 Prozent zurück.

Aber mit müden Anteilsscheinen lassen sich beim besten Willen keine Stadtwerke aufbauen. Für den Marburger Anwalt Peter Becker, der im Auftrage der Stadt Stendal die Verhandlungen führt, läuft diese listige Formel ins Leere, weil sie schlichtweg auf einer Fehlinterpretation aufbaut.

Soweit zum Paragraphendschungel. Willfried Horstmann, Direktor der auf Beschluß des Stadtparlaments im März neugegründeten und amtlich registrierten Stendaler Stadtwerke, weiß manch abenteuerliche Geschichte über die Verhandlungen mit der Treuhandanstalt zu erzählen. Brav und pünktlich hatte die Stadt die umfangreichen Anträge zur Kommunalisierung der Stromanlagen und -netze im September 1990 eingereicht. Als einzige Antwort bekam der Direktor im Dezember ein Wust von Formblättern auf den Tisch und alles begann von vorn. Doch Stendal war gewappnet: Im Rathaus war eigens eine Abteilung „Stadtwerke“ ins Leben gerufen worden. Genüßlich malt sich Horstmann die säuerlichen Mienen der Treuhandbürokraten aus, als postwendend die neuerlichen Rückgabeanträge in Berlin eintrafen. Doch danach herrschte drei Monate Ruhe. Es wurde lediglich abgelehnt, daß Stendal mit einem westdeutschen Stadtwerk — dem optimalen, weil von gleichen Interessen getragenen Partner — kooperieren darf. Die Klage blieb der letzte Weg.

Da die PreussenElektra, die in Sachsen-Anhalt Fuß gefaßt hat, Verhandlungsbereitschaft signalisierte, wurde der Prozeß zunächst vertagt. 49 Prozent Beteiligung an den Stadtwerken, so wurde ausgehandelt, sollte sich der Stromkonzern mit einem Gasunternehmen teilen, die Stadt aber 51 Prozent halten und zum 1.Juli 1991 Eigentümerin sämtlicher Anlagen sein. Freudestrahlend reiste Horstmann nach Berlin, um auch die Unterschrift der Treuhand einzuholen. Dort gab man vor, von dem Verhandlungsergebnis und der gesamten Stendaler Angelegneheit nichts zu wissen. Nun gab sich auch die PreussenElektra wieder mimosenhaft. Orientiert auf ein Gewinnmaximum von zwei Millionen Mark jährlich verlangte das Unternehmen, daß die Stadt mindestens 70 Prozent ihres Stromes für 27 bis 30 Pfennig je Kilowattstunde abnehmen sollte. Doch die Stendaler wollen sich weder die Preise diktieren lassen, noch mit erhöhtem Stromverbrauch das große Geld einstreichen. Sie setzen auf die dezentrale Eigenproduktion in kleinen städtischen Anlagen, die sowohl Strom als auch Wärme erzeugen, und wollen damit Wirtschaftlichkeit und Ökologie zusammenbringen. Da eine Einigung mit PreussenElektra unmöglich ist, muß Stendal den Alleingang wagen.

Die größte Hürde ist dabei die Genehmigung zum Betreiben der Stadtwerke, die vom Bundeswirtschaftsministerium auf der Grundlage einer Wirtschaftlichkeitsexpertise erteilt wird. Doch diese Expertise kann nicht erstellt werden, weil die Stromkonzerne die Eckdaten zurückhalten. Diesen Joker glaubt die Treuhandanstalt noch in der Hand zu haben, um weiterhin die Eigentumsansprüche der Kommunen zu ignorieren. Dabei gibt es kein Gesetz, daß sie verpflichtet, auf die Betreibergenehmigung zu warten. Stendal hat die Klage in dieser Woche wieder aufgenommen. Unterstützung erhofft sich Anwalt Becker von der brandenburgischen Stadt Forst, die in Karlsruhe gegen die Beschneidung ihrer durch die Verfassung garantierten Selbstverwaltungsrechte, zu der auch die Errichtung von Stadtwerken gehört, klagen will.