Editorial

Der Tod und das Mädchen (spanische Originaltitel: Luna qu se quiebra oder La muerte y la donacelle) gewidmet.

Dieses Stück ist nicht etwa der Zensur ausgesetzt gewesen; im Gegenteil, es wurde am 1. März 1991 in Santiago uraufgeführt. Eine englische Fassung wird vom 4. bis 27.Juli auf der Bühne des Royal Court Theatre in London nachgespielt.

Dennoch scheint ein Abdruck gerechtfertigt. Ariel Dorfman lebte sechzehn Jahre im Exil, und seine Texte waren in Chile verboten. Nach seiner Rückkehr 1990 hat er sofort begonnen, die moralischen Probleme einer traumatisierten Gesellschaft im Übergang von einer Diktatur zur Demokratie aufzugreifen und zu gestalten.

Mit dem Abdruck in 'Index on Censorship‘ erreicht seine Bearbeitung dieses Stoffes LeserInnen in mehr als hundert Ländern, die sich möglicherweise in einem ähnlichen Prozeß befinden — einem Prozeß, der vor allem darin besteht, das Schweigen zu brechen, das durch Zensur und Mord über Millionen von Menschen — durch andere Menschen — verhängt worden ist. Die politischen Kanalisierungsversuche der neuen Rede über das alte Verbrechen drohen dabei schnell, Teil eines neuen Unrechts zu werden; auch dies ist Ariel Dorfmans Thema.

In einem Interview mit Andrew Graham-Yooll, Chefredakteur von 'Index‘, im Dezember 1990 wehrte sich Dorfman gegen den Vorwurf, das Stück arbeite mit Propagandaelementen: „Es ist eine Tragödie. Und Tragödien sind nie Propaganda (...) Das Stück wird in Chile auf Kritik stoßen. Mancher glaubt, daß ich die Untersuchungskommission angreife, andere wiederum sind der Ansicht, ich attackierte die Opfer. Aber das Schlüsselelement des Stückes ist, daß es sich in den Grauzonen, der Ambivalenz bewegt. Es erlaubt jedem Zuschauer oder auch jedem Leser, sich selbst zu jeder Person des Stückes in Beziehung zu setzen (...) Es ist von größter Wichtigkeit zu unterscheiden: zwischen Zeugnis und Dokumentation, zwischen Fiktion und Mythos. Irgendwann kommt immer die Zeit, wenn die Leute von den Schrecklichkeiten nichts mehr hören wollen. Zum Beispiel hat die Regierung in Bolivien die Schrecken des Militärregimes wieder und wieder im Fernsehen gezeigt, bis die Leute einfach nur noch abgeschaltet haben. Weil es zuviel war. Auf der anderen Seite will natürlich jeder Mensch wissen, was genau passiert ist. Mein heimlicher Wunsch ist ja, daß Mozart länger gelebt hätte. Aber an zweiter Stelle wünsche ich mir nichts brennender, als mein Dossier der Geheimpolizei zu sehen. Wir alle haben solche Gefühle. Wir alle wissen, daß Dinge geschehen sind, von denen wir nichts wissen durften. Wenn wir eine Straße entlanggingen, konnte auf der anderen Seite der Mauer gerade jemand gefoltert werden. Wir wollen alles über diesen Terror wissen, auch wenn wir nicht allzu viel davon ertragen können.“

An einer anderen Stelle im Interview sagt er: „Erst nach der Rückkehr aus dem Exil ist mir meine Rolle als Künstler bewußt geworden. Ich darf nichts verschweigen. Aber es ist von größter Wichtigkeit, das daraus folgende Delirium mit Verantwortung zu handhaben.“

Die Redaktion von 'Index‘ hat in Absprache mit dem Autor zugestimmt, daß ein zentrales Stück des Textes für die taz ins Deutsche übersetzt wird, und zwar ausgehend von der englischen Übersetzung, die von Dorfman selbst stammt. Der vorliegende Text sollte jedoch nur als Einstieg gelesen werden und darf weder als autorisierte deutsche Fassung betrachtet noch als solche weiterverbreitet werden.

Bühnen, die sich um Aufführungsrechte bemühen wollen, wenden sich bitte an die Agentur Aitken & Stone, 29 Fernshaw Road, London SW 10 OTG, Tel.: 071-351 7561; Fax: 071-376 3594.) Uta Ruge