1. Juli 1990

■ Die Einheit der Währung feiert ihr Einjähriges

1. Juli 1990 Die Einheit der Währung feiert ihr Einjähriges

Vor einem Jahr bekamen die DDR-Bürger die Eintrittskarten ins Paradies. Als der von Lichtorgeln und Laserblitzen illuminierte Nebel sich verzog, roch es nach Lysol, und das Paradies war ein langer Flur im Arbeitsamt. In jener denkwürdigen Nacht zum ersten Juli wickelte sich die Schlange der Wartenden (schon vorab als letzte in Ostdeutschland gefeiert) fast um den ganzen Block am Berliner Alexanderplatz. Die Deutsche Bank hatte bereits um null Uhr geöffnet. Scheiben splitterten; drinnen wurden Ohnmachtsanfälle behandelt und Plastikbecher mit Sekt verteilt. Die Nacht war schwül. Grölen lag in der Luft und kaum frohe Erwartung. Die Menschenschlange strahlte eher den Fatalismus von Auswanderern aus; Auswanderer im eigenen Land. Nun wird gedacht, ein Gedenken an die Realität: Fernsehrunden mit den Leitern der Arbeitsämter, der Betriebsräte. Beschäftigungsgesellschaften werden als neue Versöhnungsformel für die soziale Marktwirtschaft propagiert. Die Treuhandanstalt wird geprügelt, weil sie nicht löst, was die Politik versaut hat. Inzwischen hat man eingesehen, es könnte als zynisch empfunden werden, daß der Kündigungsschutz ausgerechnet am Tag der Währungsunion ausläuft. Das Wort vom „Großflugtag“ machte ja schon die Runde. Also gibt es bis Dezember 1991 Übergangsregelungen. Der DDR-Bürger, der das Warten als staatsbürgerliche Tugend gelernt hat und seit der Währungsunion weiter auf die Erlösung aus dem Unheil wartet, darf nun ein bißchen länger warten.

Vielleicht ist es richtig, an diesem Tag die Misere der östlichen Gegenwart zum Medienereignis zu machen. Aber es gibt auch ein paar erinnerungswerte Dinge. Zum Beispiel: Kurz vor der Währungsunion wurde diskutiert, wie sorgsam und langfristig die Währungsreform und die Währungsumstellung im Saarland vorbereitet wurden. Bei der Währungsreform wurden die verantwortlichen Leute „kaserniert“ und vollkommen vor der Öffentlichkeit abgeschirmt, damit das Datum der Umstellung nicht bekannt würde. 1990 wurde mit dem von vornherein festgelegten Datum den Betrügern ein risikofreies Geschäft garantiert. Zehn Milliarden Mark wurden mit Sicherheit abgezockt. Damals, vor etwas mehr als einem Jahr, wurde auch diskutiert, daß der Wechselkurs von 1:1 durch den Kaufkraftschub die ostdeutschen Waren vom Markt fegen und den Osthandel vernichten würde. Aber als der 1:1-Wechselkurs von Bonner Politikern in Frage gestellt wurde, gab es in der DDR einen Entrüstungssturm. Die heiligsten Werte der demokratischen Revolution seien in Gefahr. Ein realistischer Wechselkurs hätte Menschenwürde und Identität des künftigen Bundesbürgers gefährdet. Solidarisch erfüllte die Bonner Regierung also den Herzenswunsch der Ostdeutschen, schon in jenem Sommer mit der harten Mark in Urlaub fahren zu dürfen.

Ich schlage vor, aus diesem Tag tatsächlich einen Gedenktag zu machen. Verschiedene Titel sind denkbar: Tag der Selbstentmündigung, Tag des Sparkontos, das an diesem Tage als gesellschaftlicher Wert gegenüber rationaler Wirtschaftspolitik triumphierte, Tag des Politikverzichts und vor allem: Tag der Einheit — von Volk und Regierung. Da der Berliner Alexanderplatz seiner zugigen Architektur wegen ohnehin umgestaltet werden sollte, könnte man dort das Grab des unbekannten Deutschlandpolitikers errichten. Der Platz könnte (Umbenennungen stehen ja auch anderweitig an) in den Platz der Einheit (der Regierung mit dem Volk) umbenannt werden. Als Denkmal schlage ich die „Blinden“ von Breughel vor: jenes Bild, auf dem bekanntlich eine Gruppe von Blinden, sich zur Sicherheit an einem gemeinsamen Stock festhaltend, von ihrem Leidensgenossen an der Spitze in den Sumpf gezogen werden. Der Stock könnte eine Fahnenstange oder auch ein großer Geldschein sein. Bei dieser Detailfrage könnte man Jürgen Habermas, der zur Vereinigung den Begriff „D-Mark-Nationalismus“ beisteuerte, als Experten hinzuziehen. Klaus Hartung