INTERVIEW
: Der Siegeszug der drei Ks

■ Sonia Licht, Mitglied der „Helsinki Citizen Assembly“ (HCA), über den jugoslawischen Nationalitätenkrieg und seine Folgen für die Frauen

Sonia Licht kommt aus Belgrad und arbeitet dort am „Institut für europäische Studien“ mit dem Schwerpunkt Menschen- und Minderheitenrechte. Sie sitzt im Vorstand der Frauenkommission der HCA. Das Interview wurde während eines Treffens osteuropäischer und US-amerikanischer Frauen Anfang Juni in Dubrovnik geführt.

taz: Welche Auswirkungen hat der Nationalismus, der Haß zwischen den Nationalitäten, auf das Leben und die Lage der Frauen in Jugoslawien?

Sonia Licht: Alle Nationalisten betonen, daß die Kleinfamilie Keimzelle der Gesellschaft ist und daß der Nationalstaat auf eine gute, solide Familie gegründet sein muß. Nicht von ungefähr regieren jetzt wieder überall die drei Ks: Kinder, Küche, Kirche. Die Propaganda der nationalistischen Parteien, und zwar nicht nur in Jugoslawien, sondern in ganz Osteuropa, zielt darauf, die Frauen wieder nach Hause zu schicken. Wir erleben das bereits ganz konkret: In allen Parlamenten ist der Anteil der Frauen nach den ersten freien Wahlen drastisch zurückgegangen. Serbien ist dabei trauriger Spitzenreiter: Dort sitzen nur 1,6 Prozent Frauen im Parlament. Die „Frauenfrage“ existiert nicht mehr.

Das hat sie unter dem alten Regime doch auch nicht.

Natürlich nicht wirklich. Natürlich hatten die Frauenquote in den kommunistischen Parlamenten nur eine Alibifunktion, und das Patriarchat wurde im Kommunismus niemals wirklich hinterfragt. Aber aufgrund der proklamierten Gleichberechtigung konnten doch ein paar Dinge durchgedrückt werden, wie etwa eine ziemlich liberale Einstellung zur Abtreibung. Außerdem waren die meisten Frauen erwerbstätig, auch wenn viele sich dazu gezwungen sahen und deswegen jetzt sagen: Gott sei Dank müssen wir nicht länger arbeiten gehen. Wir stecken mitten in einer schrecklichen Wirtschaftskrise. In Jugoslawien liegt die durchschnittliche Arbeitslosigkeit bereits über 15 Prozent, in manchen Regionen niedriger, in anderen wesentlich höher. Und womöglich werden wir tatsächlich bald 50 Prozent auf der Straße haben, wenn die ökonomischen Schocktherapeuten voll zum Zug kommen. Das neue Mütter- Hulla-Hulla, das gemeinsam von Nationalisten, katholischer und orthodoxer Kirche veranstaltet wird, ist nur politisches Make-up. Es soll die befürchteten sozialen Konflikte verringern. Denn wenn die Frauen „freiwillig“ nach Hause gehen, sehen die Arbeitslosenzahlen nicht mehr so schlimm aus.

In Jugoslawien gibt es bisher noch ein liberales Abtreibungsgesetz. Doch in einigen Staaten haben die Nationalisten schon zum Feldzug dagegen geblasen.

Tatsächlich wird an der Abtreibungsfrage die Gefahr, die der Nationalismus für Frauen in sich birgt, am offensichtlichsten. Denn alle nationalistischen, chauvinistischen Ideologen wollen die Geburtenziffern ihrer eigenen Nation erhöhen, schon um zukünftig mehr Soldaten zu haben. Die Frauen sollen mehr Kinder bekommen, obwohl unklar ist, womit sie sie aufziehen sollen. Ich erinnere mich an Wahlveranstaltungen der „Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft“, der führenden kroatischen Partei, bei denen Sprüche fielen wie: Liebe Freunde, geht nach Hause und macht einen kleinen Kroaten. Ich erinnere mich an Anstecker, auf denen zunächst stand: „Jedes ungeborene Kind ist ein Kind“ und später: „Jedes ungeborene Kind ist ein Kroate“. Genau dasselbe passierte in Slowenien, in Serbien, überall. In Serbien ist die Situation etwas komplizierter. Dort haben die Nationalisten noch nicht so eindeutig Position gegen die Abtreibung bezogen, und zwar wegen der albanischen Bevölkerung. Denn wenn man den Menschen im Kosovo die Autonomie mit dem Argument verweigert, Serbien sei eine politische Einheit, dann müssen die serbischen Gesetze auch für die Albaner gelten. Wenn also die Abtreibung in Serbien eingeschränkt oder gar verboten würde, hieße das, daß die Abtreibung im Kosovo auch verboten ist. Daran haben die serbischen Nationalisten aber kein Interesse. Sie wollen zwar die Geburtenrate der serbischen Bevölkerung steigern, gleichzeitig aber am liebsten mit allen Mitteln die albanischen Frauen dazu bringen, keine Kinder mehr zu kriegen. Denn die Geburtenrate der albanischen Bevölkerung ist sehr viel höher als die der serbischen. Ich möchte nicht den Teufel an die Wand malen, aber ich befürchte schlimme Methoden, um Frauen von Minderheiten vom Kinderkriegen abzuhalten. Vor einigen Jahren gab es zum Beispiel in der Tschechoslowakei Zwangssterilisationen an „Zigeunerinnen“. Davon hat die Öffentlichkeit aber fast nichts erfahren.

Ähnliche Gerüchte gehen über albanische Frauen im Kosovo um.

Ich weiß, aber zum Glück hat sich das bis jetzt nicht bewahrheitet.

Eine schwarze Zukunft also für die Frauen unterm Nationalismus.

Wenn ich Nationalismus sage, meine ich den bösartigen, militaristischen, chauvinistischen Nationalismus, den wir hier im Moment haben. Ich kenn' die Diskussionen über die Rolle des Nationalismus bei der Befreiung der osteuropäischen Länder bestens. Und ich stimme zu, daß der Nationalismus an einem gewissen Punkt der Auslöser für diese Befreiung war, zum Beispiel in den baltischen Staaten. Aber das Problem mit dem Nationalismus ist, daß er ganz schnell sein Gesicht verändern kann. Ich habe mit Vertretern der nationalen Befreiungsbewegungen in den baltischen Staaten geredet und sie gefragt: Gebt ihr euren Minderheiten kulturelle Autonomie? „Nein, im Augenblick nicht, erst brauchen wir unsere Unabhängigkeit, danach bekommen sie ihre Autonomie“, war die Antwort. Sie werden die Autonomie natürlich nie bekommen. Das ist die gleiche Geschichte wie mit der Frauenbefreiung. Da heißt es auch immer: Erst kämpfen wir zusammen für die Demokratie, danach werden wir über die Befreiung der Frauen nachdenken.

Dennoch unterstützt eine überwältigende Mehrheit, auch der Frauen, diesen Nationalismus.

Was Zahlen betrifft, bin ziemlich zurückhaltend. Klar unterstützen die meisten Leute auf die eine oder andere Weise den Nationalismus. Viele aber als schweigende Mehrheit. Wenn ich aber durch die Straßen von Belgrad gehe und die Gesichter der Leute betrachte, wenn ihnen die nationalistischen Lieder entgegendröhnen, habe ich das Gefühl, daß diese Leute noch nicht soweit sind, in den Krieg zu ziehen. Ein wenig Hoffnung macht mir folgendes Ereignis, auch wenn ich es nicht überbewerten will: Vor einigen Wochen gab es eine große Mobilmachung in Serbien, und da kamen Hunderte von Frauen ganz spontan zusammen, umzingelten die Kasernen und erklärten: Wir lassen nicht zu, daß unsere Männer und Söhne in einem sinnlosen Krieg ziehen. Es waren keine organisierten Frauen, sondern einfach Mütter und Ehefrauen und Schwestern, die, ohne an die möglichen Folgen ihres Tuns zu denken, einfach handelten. Es gab auch viele Mütter, die ihre Söhne außer Landes schickten. Ich glaube, dies war die erste größere Aktion gegen den Krieg in unserer jüngeren Geschichte. Und ich glaube, daß zuerst die Frauen reagieren, weil die Männer befürchten, als Feiglinge beschimpft zu werden.

Gibt es noch andere Beispiele für den Widerstand von Frauen gegen die Militarisierung der Gesellschaft?

Sicher, auch wenn sie keine Massenbasis haben. So haben alle Frauengruppen in Belgrad und ganz Serbien mehrere Statements veröffentlicht, in denen sie frank und frei Stellung gegen jede Form von Nationalismus bezogen und die herausragenden nationalistischen Führer scharf angriffen — und das in einem Augenblick, als sich das niemand anders aus wahltaktischen, opportunistischen Gründen traute. Und im November 1990 kamen 500 Frauen in Zagreb zu einer „Frauenversammlung“ zusammen, um den Entwurf für eine kroatische Verfassung zu diskutieren und dagegen zu protestieren. Es war eigentlich eine innerkroatische Angelegenheit, aber die Frauen luden Beobachterinnen anderer Nationalitäten ein. Der Geist dieses Treffens war antinationalistisch, mit dem Tenor: Wir Frauen haben eine eigene Verantwortung, einen anderen Zugang zur Welt. Wir sind nicht bereit, diese Männerspiele wie Nationalismus und Chauvinimus mitzumachen. Aber leider sind Frauen meist nicht stark und organisiert genug, ihnen Widerstand zu leisten. Interview: Ulrike Helwerth