Zufälliger Kulturkonsum

■ ARD und ZDF haben in einer empirischen Studie das kulturelle Interesse der Altbundesbürger abgefragt

ZDF-Intendant Stolte formulierte es im WiSo-Stil: „Hausse für Kultur, Baisse für Kultursendungen?“ Meint: Da brechen Kunstaustellungen Besucherrekorde und werden Klassik-Festivals nicht nur in Schleswig-Holstein zu Publikumsmagneten — aber den Kultursendungen im Puschenkino laufen die Zuschauer weg.

Ein neuer, 500 Seiten mächtiger Bericht der Medienkommission von ARD und ZDF über „Kultur und Medien“ soll den scheinbaren Widerspruch verständlich machen, ihn auflösen helfen. Der sprachliche Lapsus eines der Beteiligten („von der Hochkultur bis runter in die Populärkultur“ — spiel nicht mit den Kellerkindern) soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß von den Forschern ein erfreulich weiter Kulturbegriff gewählt wurde. Von Grass' Butt bis Michael Jacksons Billy Jean, von Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin bis zu Sartres Schmutzige Hände und Liszts Liebestraum wurden bei 3.000 Bürgern Titelkenntnisse und Kulturkonsum-Gewohnheiten abgefragt.

Eine solch präzise Sichtung des tatsächlichen Umgangs mit Kultur war überfällig und ist löblich. Bisher planten die Macher der Fernsehkultur entweder nach privaten Vorlieben oder im demoskopischen Blindflug.

Und im Gegensatz zu den privaten Programmplanern konnten sie nicht, zur Erhöhung der Einschaltquoten, beliebig Archivfilme und Kaufserien statt Kulturellem bieten — der verfassungsgerichtlich ins öffentlich- rechtliche Stammbuch geschriebene „Kulturauftrag“ muß erfüllt werden. Auch wenn das, bei Verlustquoten bis zu 50 Prozent für die speziellen Kultursendungen seit dem Aufblühen der privaten Senderlandschaft, ein unbequem gewordener Weg ist.

Dabei erscheinen die aktuellen Ergebnisse der Medienforscher ganz hoffnungsfroh, ist das fernsehende Publikum doch mitnichten an Kultur desinteressiert. Eindeutig falsch ist jedenfalls die gängige These, an Kultur delektiere sich nur eine kleine Minderheit. Erstaunliche 12,7 Prozent der Altbundesrepublikaner (die Erforschung begann vor der deutschen Vereinigung) gelten als „Kernpublikum des Kulturbetriebs“, weitere 31,2 Prozent als „kulturelle Gelegenheitsnutzer“. Selbst die große Menge der nur „Unterhaltungsorientierten“ ist gelegentlich, mit gehobenen Spielfilmen oder populären Theateklassikern sowie gefälligen Themenaufbereitungen (Terra X) vor den Bildschirm zu locken. Und nur bei den von den Forschern als „Kulturferne“ (11 Prozent) Erkannten scheint jeder kulturelle Programmansatz zum Scheitern verurteilt.

Auch ein anderes Ergebnis läßt aufhorchen — und zukünftig andere Sendeformen erhoffen. Denn die Spezialisten, die lediglich an einer Kulturform (z.B. Theater und Jazz) interessiert sind, gibt es nur selten —, der an Kultur Interessierte, der an vielen unterschiedlichen Angeboten nascht, ist der statistische Durchschnittskonsument. Wer sich ein Buch kauft, geht mit großer Wahrscheinlichkeit auch mal in Kunstausstellungen, Theateraufführungen und Konzerte. Und umgekehrt.

Doch die jetzigen Kulturangebote der öffentlich-rechtlichen Fernsehmacher haben Geburtsfehler: Entweder wenden sie sich zu später Stunde oder auf für viele nicht erreichbaren Satellitenprogrammen an ein gehobenes Bildungsbürgertum — oder sie übersetzen „populär“ mit „doof“, lassen die Volksmusikanten auffahren und die Vorstellung des aktuellen Kinoangebots zur Werbeveranstaltung der Filmverleiher verkommen (Kino-Hitparade).

Dabei kann das Fernsehen Kultur- Häppchen zur Appetitanregung auf mehr auch jenen anbieten, die sich nicht oder nicht besonders für Kultur interessieren. Denn der relative Anteil der Zuschauer mit hohem kulturellem Interesse ist, so die Studie, bei Sendungen wie Aspekte zwar überdurchschnittlich hoch — aber in absoluten Zahlen sitzen bei solchen Magazinsendungen noch mehr Menschen mit keinem oder nur geringem kulturellem Interesse (Zufallszuschauer) vor der Flimmerkiste.

Vielleicht kommen uns ja van Gogh und Da Vinci demnächst als Popstars ins Haus — nach dem erfolgreichen Vorbild der Mozart- Verfilmung Amadeus. Jedenfalls wird ein Nachdenken notwendig sein, ob einerseits noch alles gesendet werden muß, wo „Kultur“ draufsteht, und andererseits, wie sich das Fernsehen modernen Kulturvarianten (z.B. Computergrafik, Comic) und weiteren Breichen (wie Architektur, Mode) verstärkt zuwenden kann. Auf die Versuche und Experimente, dem Fernsehpublikum Kulturelles nahezubringen, werden wir gespannt warten.

Nur der Versuch des Heute-Journals im letzten Jahr, als zum Schluß der Sendung ein Kultur-„appetizer“ angeboten wurde, ging schief. Da zog es ein Drittel der Zuschauer, in Vorbereitung auf Schwarzwaldklinik und Großer Preis, noch einmal schnell zu Klo und Kühlschrank. Ben Vart

Die 500seitige Studie ist als Band 11 der Schriftenreihe „Media Perspektiven“ im Nomos-Verlag, Baden-Baden erschienen.