: Japans Bauern verstehen nichts von Marktwirtschaft
In Tokio haben 50.000 Landwirte gegen die Aufhebung des Reisimportverbots demonstriert/ Regierung will USA entgegenkommen ■ Aus Tokio Georg Blume
Im Vergleich zu den Einheimischen fehlt ihnen Anzug und Krawatte, ihre harten Gesichtszüge erzählen von einem fremden Leben, aber ihr Schritt klingt selbstbewußt im Getöse des Verkehrs. Annähernd 50.000 Bauern, mehr als je zuvor in diesem Jahrhundert, ziehen an diesem ersten Julitag durch ihre Hauptstadt, Tokio. Sie alle kommen vom Land, ihre Felder in Hokkaido und Kyushu liegen bis zu 1.000 Kilometer weit entfernt, und sie mögen Tokio genausowenig wie die Bayern Berlin. „Es geht um unser Leben“, begründet ein alter Bauer aus dem nördlichen Iwate den ungewöhnlichen Aufmarsch. „Wir demonstrieren, damit wir auch morgen noch wissen, was wir in unsere Reisschale tun.“
Gegen wen aber richtet sich der Protest aus der Provinz? Der alte Mann aus Iwate sträubt sich, einen Gegner zu benennen. „Wir wollen unserer Regierung sagen, was wir denken, damit sie es der Welt erklären kann“, befindet der Bauer schließlich und ahnt dabei wohl schon: Japans Landwirte demonstrieren diesmal gegen die ganze Welt.
Japans Bauern gegen den Rest der Welt
„Japans Reis darf nicht dem Weltwirtschaftsgipfel zum Opfer fallen,“ heißt es auf einer der Banderolen, die das größte Stadion der Stadt, den Tokio-Dome, an diesem Tage schmücken. Damit werden die Fronten schon etwas deutlicher benannt. Denn Nippons Bauern kämpfen für den Fortbestand des Reisimportverbots in ihrem Land — doch gerade dieses Gesetz will die Welt ihnen nicht mehr gönnen. Es widerspricht nicht nur den internationalen Handelsvorschriften der Gatt-Vereinbarungen. Vor allem ist das Gesetz ein Stein des Anstoßes für die USA. Für sie demonstriert das Reisimportverbot, daß die japanische Regierung unwillig ist, sich den Gesetzes des Weltmarktes zu unterwerfen. Washington sieht darin einen Beweis, daß Nippon keine Prinzipien kennt und nur auf den eigenen Profit bedacht ist. Wer außer Tokio wollte dem widersprechen? Oder anders gefragt: Widerspricht Tokio noch?
Vor den 50.000 Bauern im Tokio- Dome spricht der Parteisekretär der regierenden Liberaldemokraten, Mutsuki Kato, mit dem Rücken zur Wand. „Wir geben uns in den Verhandlungen mit anderen Ländern große Mühe,“ spricht Kato, „aber es gibt Schwierigkeiten in den Gatt- Verhandlungen.“ Dabei ertönen Pfiffe. Denn längst ist die Haltung der Liberaldemokraten nicht mehr so klar wie früher. Inzwischen haben sich die einflußreichsten Mitglieder der Partei, unter ihnen der ehemalige Premierminister Noburu Takeshita, für eine begrenzte Aufhebung des Reisimportverbots ausgesprochen. Es hat den Anschein, als trotze nur noch die offizielle Partei- und Regierungslinie dem internationalen Druck. Auf ihr aber bestehen die Bauern.
„Warum sollen wir die Felder kaputtmachen?“
„Vor 40 Jahren“, ereifert sich der Bauer aus Iwate, „haben uns die Politiker gesagt, das Land brauche Reis. Wir haben ihnen den Reis beschert und die Politiker unterstützt. Doch was ist das heute für eine Politik, die sagt, wir sollen die Felder kaputt machen und weniger produzieren? Ist das noch Bauernpolitik?“ An Argumenten mangelt es den japanischen Landwirten wahrlich nicht. Sie können dabei nicht nur auf ihre jahrzehntelange Treue zur Regierungspartei pochen. „Schon heute importiert Japan mehr Lebensmittel als jedes andere Land,“ erklärt Santa Kobayasi, ein Sprecher des Bauernverbandes Nokyo. „In Japan liegt die Selbstversorgungsrate für Grundnahrungsmittel bei lediglich 30 Prozent, viel niedriger als in den USA und Europa.“
Noch überzeugender klingen ökologische Bedenken. Reisfelder dienen im ganzen Japan der Naturpflege. „Wenn wir die Reisfelder in unseren großen Städten auch noch bebauen, dann bliebe uns dort überhaupt keine Grünfläche mehr“, prophezeit eine Tokioter Bürgerin, die, wie sie selbst sagt, als „Konsumentin“ mit den Bauern demonstriert. Damit verweist sie auf ein Phänomen, das besonders Ausländern in Japan immer wieder Kopfschütteln abverlangt. Warum gibt es mitten in Tokio Reisfelder, lautet deren Frage. Die Antwort ist einfach: Weil Reisfelder 1952 per Gesetz von der Bodensteuer befreit wurden. Deshalb ist niemand gezwungen, sein Land zur Bebauung abzugeben.
Die Logik des Marktes ist gegen die Bauern
Doch wie immer Japans Bauern auch argumentieren, ob mit der Tradition des Landes, seiner jahrhundertalten Reiskultur und dem einzigartigen Geschmack des japanischen Korns — immer müssen sie bei ihrer Rede eines vermeiden, nämlich die Logik des Marktes. Die durchschnittliche Bauernhofgröße beträgt in Japan 0,6 Hektar, in Thailand aber bereits 3,9 Hektar und in den USA stolze 94 Hektar. Dennoch wird auf Japans Feldern kaum mehr Reis pro Hektar geerntet als in den USA. Und schließlich sind Verbraucherpreise für Reis in Japan achtmal so hoch wie in den USA. Gerade weil diese Zahlen eine so unerbittliche Sprache für die Zukunft der japanischen Reisbauern sprechen, sind ihre Anliegen im einzelnen so sympathisch.
„In der Woche arbeite ich ganz normal als Angestellter,“ beschreibt ein 24jähriger Jungbauer aus der Präfektur Chiba sein Leben, „aber am Wochenende und an den Abenden kümmere ich mich um unseren Hof. Wir besitzen drei Hektar Land. Viel Geld läßt sich damit wirklich nicht verdienen. Aber die Landwirtschaft ist meine liebste Arbeit. Ich habe sie vom Vater gelernt.“ Warum also, bitte schön, muß man dem Bauern aus Chiba aufgrund irgendwelcher Prinzipien seinen Spaß mit billigen Reisimporten verderben? Viele Japaner wollen das nicht einsehen, zumal kaum jemand im Land den Reispreis als zu teuer empfindet.
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