GASTKOMMENTAR
: Und Kohl bewegt sich doch...

■ Beschäftigungsgesellschaften als Instrument des Krisenmanagements

Die Lage war noch nie so ernst wie heute, pflegte Adenauer zu sagen. Ganz anders der Enkel Kohl. Vor dem Berg von Problemen nach der Währungsunion des 1.Juli 1990 übt der Kanzler Selbstkritik: Man habe sich zwar verschätzt, aber im Grunde alles richtig gemacht. So bleibt die Kohlsche Fehlermeldung fast konsequenzenlos.

Die D-Mark ist vor einem Jahr in die Noch-DDR gekommen, aber der Brotkorb ist sogleich höher gehängt worden. Betriebe mußten das Handtuch werfen und Konkurs anmelden. Statt sicherer Arbeitsplätze kam zunächst die Arbeitslosigkeit. Ein Jahr nach der Währungsunion wird vom Kanzler zum ersten Mal zugegeben, daß man in der Ex- DDR nicht wie in der alten BRD mit den Arbeitslosen umgehen kann. Tatsächlich macht es einen Unterschied, ob „nur“ sieben Prozent der Erwerbspersonen stempeln gehen oder jeder dritte sich in den Gängen der Arbeitsämter herumdrücken muß.

Auch im Regierungslager in Bonn sind nun Beschäftigungsgesellschaften nicht mehr tabu. Damit wird eingeräumt, daß der Marktmechanismus, geölt durch Bonner Subventionsmilliarden, zur Bewältigung der Probleme in den neuen Bundesländern allein nicht geeignet ist. Auch die Steuererhöhungen sind, so Kohl, unvermeidlich; die Steuerlüge war dann wohl tatsächlich eine, zumindest von heute aus betrachtet. Und Kohl bewegt sich doch, Aussitzen geht nicht mehr.

Die Gründung von Beschäftigungsgesellschaften — das ist die temporäre Abkehr vom Gewinnprinzip des Marktes, das ist die Anerkennung, daß nicht nur Kapitalgeber mit ihren Investitionen den Transformationsprozeß gestalten, sondern die Kompetenz der Arbeitnehmer gefragt ist. Damit bekommen die Beschäftigten zumindest eine befristete Chance, ihre Interessen jenseits kurzfristiger Rentabilitätserwägungen zu realisieren.

Nach Kohls Vorgabe muß die Treuhand nun ihren Widerstand gegen Beschäftigungsgesellschaften aufgeben. Damit diese Notlösung nicht sofort scheitert, ist aber ein wirtschaftspolitischer Rahmen zu schaffen: Verkürzung der Arbeitszeit, Unterstützung regionaler Unternehmensnetzwerke, eine sinnvolle Lenkung staatlicher Aufträge in Richtung auf die Beschäftigungsgesellschaften. Elmar Altvater

Der Autor ist Professor an der Freien Universität Berlin und Mitherausgeber der Zeitschrift 'Probleme des Klassenkampfs‘.