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INTERVIEW„Niemand bekennt sich zum Antifaschismus“

■ Der Bukarester Oberrabiner Dr.Moses Rosen über Neofaschismus und Antisemitismus in Rumänien

taz: In den letzten Wochen ist die kleine jüdische Minderheit Rumäniens von unzähligen antisemitischen Hetzartikeln und Publikationen überflutet worden. Worauf ist diese judenfeindliche Haltung — auch oppositioneller Zeitungen — zurückzuführen?

Dr.Moses Rosen: Es handelt sich in diesem Fall nicht um eine antisemitische Explosion, sondern eher um eine von oben, das heißt von bestimmten Kreisen gesteuerte Aktion. Diese Aktionen sind keineswegs Relikte der pharaonischen Ceausescu- Zeit. Das rumänische Volk lebte fast 600 Jahre friedlich mit den Juden zusammen. Paradoxerweise bedienten sich in der Vergangenheit oft Nichtrumänen des Antisemitismus. Anläßlich einer Gedenksitzung für die Opfer der antisemitischen Legionärspogrome im Januar 1941 traten im rumänischen Parlament zwei Abgeordnete der Regierungspartei, der Front zur Nationalen Rettung, auf, die Ion Antonescu (militärfaschistischer Diktator Rumäniens zwischen 1940 und 44) positiv erwähnten und den Holocaust an den rumänischen Juden verneinten. Am selben Abend verherrlichte ein Vertreter der Nationalliberalen Partei im Fernsehen den Führer der faschistischen Legionäre, Corneliu Zelea Codreanu. Bekanntlich hatte Codreanu die antijüdischen Aktionen eingeleitet. In der Frontzeitung 'Azi‘ (Heute) wurde mir kürzlich vorgeworfen, das rumänische Volk ungerechtfertigterweise wegen der Judenpogrome beschuldigt zu haben.

In letzter Zeit forderten immer häufiger fast alle Publikationen des Landes eine Rehabilitierung Antonescus. In mehreren Städten tragen jetzt Straßen den Namen Antonescus. Was halten Sie von diesen Rehabilitierungsversuchen?

Sowohl der polnische Präsident Walesa als auch die Staatsführer Ungarns entschuldigten sich in Israel für die in ihren Ländern den Juden zugefügten Ungerechtigkeiten. Rumänien ist das einzige Land, in dem schon unter Ceausescu die Vergangenheit systematisch verdrängt wurde. Heute erleben wir die Fortsetzung davon. Als Antonescu im Herbst 1940 an die Macht gekommen war, öffnete er Hitler auch die Tore des Landes, obwohl infolge des Ribbentrop-Molotow-Pakts Bessarabien und die Nordbukowina von Rumänien gewaltsam abgetrennt worden waren. Im Laufe des Krieges starben mehr als 600.000 rumänische Soldaten, ohne das abgetrennte Bessarabien zurückerobert zu haben.

Aber auch über den am Holocaust mitverantwortlichen Antonescu wird im posttotalitären Rumänien nichts gesagt. Wie erklären Sie sich diese merkwürdige Amnesie?

Nicht die einzelnen Völker sind für den Holocaust verantwortlich, sondern die Faschisten. In unserem Fall: die rumänischen Faschisten. Auch unter den Rumänen hatte es Leute gegeben, die zahlreiche Juden gerettet haben. Nun tauchen im Jahr 1991 Extremisten — meinetwegen Neofaschisten — auf und identifizieren das rumänische Volk mit Antonescu. Ist dies nicht eine moralische Katastrophe? Hitler hatte außer Antonescu auch noch andere Verbündete. Horthy in Ungarn oder Pétain in Frankreich. Niemand käme jedoch heute auf den Gedanken, Frankreich mit Pétain gleichzusetzen. Was sich bei uns abspielt, ist eine ungeheuerliche Beleidigung unserer Märtyrer, aber auch der noch kaum 20.000 zählenden jüdischen Minderheit Rumäniens. Allerdings gab es schon unter Ceausescu die ersten Rehabilitierungsversuche von Antonescu. Jetzt erscheinen unzählige, Antonescu gewidmete Bücher. In Jassy (Ort eines Pogroms) beispielsweise erschien ein dreibändiges „Werk“, in dem die Juden gar nicht erwähnt werden. Es ist kaum zu fassen, daß die 300.000 Opfer unseres Volkes nicht zur Kenntnis genommen werden. All dies wird verheerende Folgen für das Ansehen dieses Landes in der Welt zur Folge haben.

Der Ideologe der „Vatra Romaneasca“, Ion Coja, hat Ihnen in einem Gespräch „Unglaubwürdigkeit“ vorgeworfen (taz vom 15.5.91), und zwar, weil Sie, so sagte er, ein „Freund Ceausescus“ gewesen seien. Ähnliche Vorwürfe wurden in den letzten Monaten immer wieder geäußert, um dadurch Ihre Kritik an dem wiederaufkeimenden Antonescu-Kult zu desavouieren.

Das sind unseriöse Vorwürfe. Ich habe alles unternommen, um die jüdische Auswanderung zu erleichtern. Auch die amerikanische Meistbegünstigungsklausel für Rumänien hatte Ceausescu mir zu verdanken, wobei er zähneknirschend gewisse Konzessionen machen mußte. Selbst Hitler hätte ich die Hand gereicht, wenn ich dadurch auch nur zehn Juden das Leben hätte retten können.

Ich möchte noch auf eine Antonescu betreffende, weitverbreitete Auffassung hinweisen. Viele sind der Meinung, Antonescu habe die Juden gerettet, weil er sie nicht an Hitler ausgeliefert hat wie die Ungarn, die 1940 Nordsiebenbürgen besetzt hatten. Einige Juden aus dem von Ungarn besetzten Gebiet konnten sogar nach Rumänien flüchten und so ihr Leben retten. In Wirklichkeit hatte sich jedoch Antonescu wie ein Räuber verhalten. Bildhaft gesprochen: Alles hatte sich wie bei einem Überfall in einem Wald abgespielt, wo ich zusammen mit meinem Bruder — das heißt den rumänischen Juden — von einer Räuberbande ausgeraubt wurde. Dabei wird mein Bruder umgebracht. Als auch ich ermordet werden soll, taucht die Polizei — das ist Antonescu — auf. Um sich ein Alibi zu verschaffen, rettet einer der Räuber mein Leben. Antonescu war ein Mann Hitlers, der das Pogrom von Jassy organisiert hatte, in Bessarabien ließ er über 100.000 Juden niedermetzeln; er veranlaßte die Deportation Zehntausender — auch meiner Schwiegermutter. Er beendete diese Aktionen, als keine Kriegserfolge mehr zu verbuchen waren — bereits vor Stalingrad. Seine Anhänger berufen sich heute auf diese widersprüchliche Haltung, um ihn vor der Geschichte reinzuwaschen. Wem nutzt das wohl? Heute gilt Antonescu als Symbol der extremen Rechten, der es nach der Macht gelüstet. Besorgniserregend ist die Tatsache, daß niemand öffentlich als Antifaschist aufzutreten wagt. So kann die extreme Rechte hierzulande ungehindert agieren. Wer gegen den Kommunismus kämpft, dürfte das andere Übel, den Faschismus, nicht vergessen. Interview: William Totok

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