„Ein Schock ohne Therapie“

■ Eine deprimierende Bilanz der Währungsunion ziehen Grüne/Bündnis 90 und SPD/ Bündnis 90 fordert neues Treuhandgesetz: Sanieren statt schließen

Berlin (taz) — Daß sich „die Macher der Wirtschaftsunion an diesem Tag nicht in die Öffentlichkeit“ trauen, fiel gestern nicht nur Werner Schulz, Bundestagsabgeordneter des Bündnis 90, auf. Die Bilanz der Bürgerbewegungen setzte denn auch Minister Waigels unverwüstlichem Zweckoptimismus („erste positive Anzeichen“) Grimms Märchen entgegen: Ein ganzes Volk sei im vergangenen Jahr „zum Hans im Glück geworden“, seit dem „Schock ohne Therapie“ sei Durchwursteln die oberste Staatsmaxime geblieben. Schulz und Hans-Joachim Fischbeck (AG Wirtschaft des Bündnis 90) trugen gestern vor, wie sie die „Entindustrialisierung“ der neuen Länder aufhalten würden: Ein „aktives Sanierungskonzept“ soll die industrielle Substanz der sanierungsfähigen Betriebe erhalten.

Werner Schulz hält das für „billiger, als Industriearbeitsplätze für bis zu 350.00 Mark „pro Stück“ neu zu schaffen. An die Stelle des „Gießkannenprinzips“ beim Bonner Konzept „Aufschwung Ost“ soll gezielte staatliche Wirtschaftsförderung treten. Die Ökonomen des Bündnis 90 halten das für eine „große Chance für eine durchgreifende ökologische Innovation“: Produktionslinien, die auf Schadstoffvermeidung, Wiederverwendung und Energiesparen zielen, sollen dabei entwickelt werden, eine Entsorgungssteuer als Alternative zur Erhöhung der Mehrwertsteuer eingeführt werden.

Vor allem will die Bundestagsfraktion der Bürgerbewegungen das Treuhandgesetz verändern und hat allen Abgeordneten schon mal einen Entwurf dafür in die Sommerferien mitgegeben: Die Treuhand bekommt darin die Aufgabe, „die ihr anvertrauten Unternehmen zu sanieren, wenn diese nicht sofort unter Erhalt ihrer Substanz privatisierbar sind und wenn dies auf mittlere Sicht erfolgversprechend ist. Sie soll künftig von einem Bundestagsausschuß kontrolliert, ihre Arbeit soll regionalisiert werden.

Auf die Frage der taz, wie denn die ebenfalls vorgesehenen Beschäftigungsgesellschaften den Anschluß an das hochgesteckte Modernisierungsziel („beispielhaft für die alten Bundesländer“) finden sollen, blieb die Antwort allerdings noch wenig konkret: „Regionale Entwicklungszentren“ mit Runden Tischen sollten die Wirtschaftsförderung „begleiten“ (Schulz). Auch die Gefahr, daß das Überhäufen mit staatlichen Geldern ähnlich wie im Mezzogiorno Italiens dazu führen könnte, daß die Milliarden versickern, sehen die B-90-Leute zwar, sind aber überzeugt, man kann sie bannen, indem man die Gelder nicht einfach für Löhne und Arbeitslosengeld verwendet, sondern damit „das Eigenkapital der Betriebe erhöht“.

SPD: „Trostlos“

SPD-Finanzexpertin Matthäus- Maier unterstützte, im Gegensatz zu B90/Grüne, den radikalen Währungsschnitt vor einem Jahr, nannte ihn jedoch „unzureichend flankiert“, die Bundesregierung habe „keinen denkbaren wirtschaftspolitischen Fehler ausgelassen“. Brandenburgs Arbeitsministerin Hildebrandt sprach von einer „trostlosen Bilanz“. Und DGB-Vorsitzender Meyer forderte auch von den Gewerkschaftsmitgliedern im Westen Opfer, „nicht in Pfennigen, sondern in Mark“. mr