Mesic: Armee soll für Menschenopfer zur Verantwortung gezogen werden

■ Der neue jugoslawische Staatspräsident räumt Meinungsverschiedenheiten über den EG-Kompromiß ein/ Bundeskanzler Kohl kritisiert indirekt Jugoslawienpolitik der EG

Stipe Mesic, der neue jugoslawische Staatspräsident, will die Regierung von Ante Markovic und den Generalstab der Armee wegen des militärischen Vorgehens in Slowenien zur Verantwortung ziehen. Das kündigte der nach sechswöchigem serbischen Widerstand gewählte kroatische Politiker am Montag in Belgrad an. Unter den leitenden Offizieren müsse untersucht werden, „wer wieviel Schuld trägt“ für das selbständige Handeln in Slowenien und die Mobilisierung der Reservisten „außerhalb des Oberkommandos“, an dessen Spitze Mesic jetzt steht.

Der Staatspräsident forderte die Armee auf, gegen die bewaffnete serbische Minderheit in Kroatien gewaltsam vorzugehen. Serbien versorge diese mit „Waffen und Personal“. Mesic räumte Meinungsverschiedenheiten zwischen den zerstrittenen Republiken über den von der EG-Delegation ausgehandelten Kompromiß ein. Vor allem bei der Aussetzung der Unabhängigkeit von Slowenien und Kroatien „gibt es eine Menge Unklarheit“. Während Serbien klar ihre Aufhebung fordere, sei für ihn die „Vorbedingung, daß die Souveränität Kroatiens nicht in Frage gestellt wird“.

Die deutsche Bundesregierung sowie die Opposition sind sich einig, daß der Rückzug der Volksarmee die dringendste Voraussetzung sei, um zu einer Lösung der Probleme zu kommen. Bundeskanzler Kohl betonte, man könne mit „Panzern und Gewalt ein Land nicht zusammenhalten“. Nach einer Einstellung aller Kampfhandlungen müßten alle Chancen für Gespräche genutzt werden. Nur ernsthafte Verhandlungen über eine Neugestaltung der staatlichen Struktur könnten eine dauerhafte Lösung bringen. Entscheidend für eine weitere Zusammenarbeit der EG und der Bundesrepublik mit Jugoslawien werde sein, daß jeder Einsatz militärischer Gewalt oder die Drohung damit unterbleibt.

Der Bundeskanzler verwies auf das mit deutscher Unterstützung erfolgte Einfrieren von EG-Finanzhilfen für Jugoslawien, solange es keine friedliche Lösung gebe. Die Kritik, die Bundesregierung sei in der Vergangenheit nicht nachdrücklich genug für die Einhaltung der Menschenrechte in Jugoslawien eingetreten, wies Kohl zurück. Indirekt kritisierte er aber die EG-Partner mit dem Hinweis, in einer Reihe von Partnerländern habe es wegen deren eigener Separationsbewegungen erhebliche Probleme gegeben, die Unabhängigskeitsbemühungen zu unterstützen. In der Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags gab es gestern — auch aus den Reihen der CDU/CSU — massive Kritik an der Politik der EG. Diese habe sich zu „zögerlich“ verhalten und die EG-Außenpolitik sei zu sehr am Status quo orientiert gewesen. Die SPD-Politiker Gansel und Voigt stellten fest, daß durch die EG-Finanzhilfe denen der Rücken gestärkt worden sei, die glaubten, mit Gewalt die Probleme lösen zu können. Das Eingreifen der Armee aber habe die Auflösung Jugoslawiens beschleunigt und der Einheit den Todesstoß versetzt. Obgleich sie das Streben der Republiken nach Souveränität als „legitim“ bezeichneten, wurde eine Anerkennung Sloweniens und Kroatiens nicht gefordert. Gerd Nowakowski/her