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Künftiger Bundesratssitz noch unklar

Zwei Tage vor der Abstimmung in der Länderkammer sind noch keine klaren Mehrheiten auszumachen/ Der SPD-Parteichef Engholm plädiert für eine Verwaltungsreform beim Berlin-Umzug  ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski

Zwei Tage vor der Entscheidung des Bundesrats über seinen künftigen Sitz haben sich sieben Bundesländer für dessen Verbleib in Bonn ausgesprochen. Nach den SPD-regierten Ländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Bremen und Schleswig-Holstein sowie Berlin und Brandenburg will nun auch Baden-Württemberg für den Verbleib der Länderkammer in Bonn stimmen. Die acht Länder vereinigen 34 der 68 Stimmen des Bundesrats auf sich. Für Berlin als künftigen Sitz tritt neben den Ländern Niedersachsen, Hessen und Thüringen seit gestern auch Bayern mit insgesamt 27 Stimmen ein. Die restlichen zwei Länder Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt hatten sich bis Redaktionsschluß noch nicht festgelegt.

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsdident und SPD-Vorsitzende Björn Engholm rechnet mit einer knappen Mehrheit für den bisherigen Sitz. Er glaube, daß noch das eine oder andere Bundesland für Bonn zu gewinnen sei. Engholm, der für Bonn als Regierungssitz eintrat, befürchtet, daß der Bundesrat in der Megapolis Berlin neben dem „riesigen Konglomerat zwichen Regierung und Diplomatie“ an Bedeutung verlieren werde. Ziehe auch noch der Bundesrat weg, werde außerdem Bonns „Schicksal endgültig besiegelt“. Kommen bis zur Sitzung des Ländergremiums am Freitag keine klare Mehrheiten zustande, dann solle die Entscheidung über den Bundesratsumzug „sehr weit herausgeschoben“ werden, vertritt Engholm.

Bundesratsmitglieder gehen davon aus, daß ein Antrag für den Verbleib in Bonn auch eine Option für einen späten Umzug — in zehn bis fünfzehn Jahren — nach Berlin offenläßt. Schließlich könne erst nach dem Umzug der Bundesregierung überprüft werden, ob der Bundesrat auch funktioniere, wenn er in Bonn von der Regierung abgenabelt sei. Es sei noch „erheblicher Verhandlungsbedarf“ notwendig, hieß es. Bereits vor dem Treffen der Ministerpräsidenten am morgigen Donnerstag habe es eine Vielzahl von Kontakten in der Frage gegeben.

Flankiert von Bonner Depressionen über die Niederlage im Bundestag und stiller Verweigerungshaltung der Beamtenschaft wird in Bonn die Tendenz deutlich, den beschlossenen Umzug auf die „Zeitschiene“ zu setzen. Nach dem Beschluß soll der Bundestag in vier Jahren seine „Arbeitsfähigkeit“ in Berlin erlangt haben. Der „Arbeitsstab Berlin/ Bonn“ der Bundesregierung, der gestern das erste Mal tagte, geht aber in seinen Plänen inzwischen von Umbauzeiten des Reichstags von acht Jahren aus; in semantischen Wortklaubereien heißt es nun, in vier Jahren sei lediglich die „erste Funktionsfähigkeit“ zu erreichen. Bundeskanzler Kohl hatte in der vergangenen Woche außerdem davon gesprochen, man lasse sich nicht unter Zeitdruck setzen und werde keine Provisorien in Berlin akzeptieren. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Vogel, vehementer Berlin-Befürworter, kritisiert diese Wortspielereien. Die Bundesregierung sei „gut beraten“, sich an die Zeiten zu halten, die im Beschluß des Parlaments genannt werden, sagte Vogel. Der SPD-Chef Engholm wünscht sich aber ebenfalls, daß Bundesregierung und Parlament „parallel und möglichst zeitgleich“ nach Berlin ziehen sollten, wobei er davon ausgeht, dies werde ein Jahrzehnt dauern.

Engholm sprach sich außerdem dafür aus, den anstehenden Umzug nach Berlin für eine „umfängliche Reform“ des öffentlichen Dienstes zu nutzen. „So eine Chance bekommt man nie wieder“, sagte Engholm. Notwendig sei eine kritische Aufgabenüberprüfung staatlicher Aufgaben. Vorstellbar sei, Aufgaben außerhalb des „klassischen hoheitlichen Bereichs“ auch zu privatisieren, allerdings unter öffentlicher Kontrolle zu belassen. Zu einer Abschaffung des Berufsbeamtentums äußerte sich Engholm nicht.

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