Ein Atomkraftwerk in der Wagenburg

■ Sloweniens AKW ist von Panzern umgeben/ Serbiens Untergrundarmee soll mit der Zerstörung gedroht haben

Krsko ist ein verschlafenes Bauerndorf, eines von vielen in Slowenien. Das Flüßchen Krka schlängelt sich in der Mitte hindurch, links und rechts davon die Häuser und eine katholische Kirche auf einer Anhöhe. Doch Krsko kennt jeder in Jugoslawien. 1982 wurde es aus der Idylle gerissen, als kaum einen Kilometer weiter flußabwärts der einzige Atommeiler des Vielvölkerstaates gebaut wurde.

„Und mit dem Block kam Ärger“, schimpft Bauer Darko. „Immer wieder gab es Alarm, wir sollten in unseren Häusern bleiben, es könnte Radioaktivität ausgetreten sein.“ Krsko gilt als Skandalreaktor mit 70 Abschaltungen. Jetzt haben im Dorf alle Angst — Angst, er könnte in die Luft fliegen. Getroffen von einer Bombe.

Drohungen sind angeblich schon vor Wochen der Betriebsleitung ins Haus geflattert. Der selbsternannte Feldherr der serbischen Untergrundarmee, Vojislav Seselj, habe gewarnt: Werde sich Slowenien von Jugoslawien abspalten, dann werde er „den Block“ in die Luft sprengen lassen. Begründung: Das AKW sei ausschließlich mit Geldern erbaut worden, die Deutschland als Wiedergutmachung für die Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg an Jugoslawien gezahlt habe. Krsko gehöre also allen Jugoslawen, wie auch Slowenien Teil Jugoslawiens zu sein habe.

Bauer Darko: „Wir alle im Dorf haben gelacht, als wir diesen Wahnwitz hörten.“ Aber jetzt ist die Gefahr real, davon ist man in Krsko überzeugt. Montag abend gab es den ersten Fliegeralarm, gestern früh sollen dreimal MIG-Maschinen über den Reaktor gedonnert sein. Doch die Informationen, die Radio Slowenien stündlich wiederholt, klingen verwirrend für die Bauern. Im Umkreis der kleinen Landgemeinde hätten sich „versprengte Truppenteile der Okkupationsarmee“ verschanzt. Sie seien von der slowenischen Territorialverteidigung in die Enge getrieben worden, wüßten nun nicht mehr, wie sie aus der Falle herauskommen sollen. „Deshalb sind diese Soldaten zu allem entschlossen“, so schätzt der slowenische Sender die Lage ein. Warum gibt man ihnen nicht die Möglichkeit des freien Abzugs, warum macht Ljubljana das Kesseltreiben mit, fragen sich die Bauern in Krsko. Wird so die Gefahr nicht unnötig hochgeschaukelt?

Hier in der Gegend ist bisher noch kein einziger Schuß gefallen, aber das Dorf ist verbarrikadiert, mit Heuwagen, Planierraupen, Lastwagen. Baumstämme wurden über die Straße gelegt und darunter Minen angebracht. Wer dazu in der Lage ist, trägt eine Waffe. Die Männer gehen auf Streife, halten Nachtwache.

Mit eigenen Augen haben sie noch keinen Feind gesehen. Aber das Fernsehen zeigt ihnen unablässig die schrecklichen Bilder von verbrannten und verstümmelten Leichen. Dieselben Bilder flimmern immer wieder über die Bildschirme, und so bekommen die Leute den Eindruck, die Kriegshandlungen nähmen ständig zu. Daher glaubt niemand den offiziellen Zahlen aus Ljubljana, nach denen bisher vierzig Menschen ihr Leben ließen, 20 Armeesoldaten, zwölf Zivilisten und acht slowenische Polizisten.

Man müsse überall eine Null mehr hinzusetzen, sagen die Menschen. Das wisse man aus Erfahrung. Immer wenn die Kosovo-Albaner rebellierten, 1981, 1982 und 1988, sprach das offizielle Belgrad von acht Toten, wenn es 80 gewesen waren, von vier gefallenen Demonstranten, wenn 40 Albaner ihr Leben ließen.

Den Einwand, Übertreibungen putschten nur Gefühle und Aggressionen gefährlich auf, lassen die Bauern und Bäuerinnen nicht gelten. Für sie herrscht der „totale Krieg“, eine Formulierung, die die größte Zeitung des „freien“ Slowenien ('Delo‘) schon am Samstag als Schlagzeile wählte.

Und die Argumente dazu sind in Sichtweite: Im Umkreis von einem bis zwei Kilometern ist der Atommeiler mittlerweile von Spezialeinheiten der slowenischen Polizei abgeriegelt, dutzende Panzerabwehrraketen in Stellung gebracht. Selbst Panzer und Helikopter der slowenischen Territorialverteidigung, wie die paramilitärischen Polizeieinheiten genannt werden, sind aufgefahren. Nur bei ganz wenigen Panzern stecken in den Kanonenläufen Blumen. Roland Hofwiler, Krsko