Keine Zukunft für die Paternoster

■ Seit Jahrzehnten schaufeln sie Angestellte von Etage zu Etage — nun werden die Paternoster in Berlin durch gewöhnliche Fahrstühle ersetzt/ Die energiefreundlichen Aufzüge sind zu gefährlich

Berlin. Im Parterre der Berliner Treuhandanstalt in der Leipziger Straße stehen die Manager öfter mal Schlange. Dann verbleiben Sekunden, um die Autoschlüssel im Aktenkoffer verschwinden zu lassen oder noch einmal den Seidenschlips glattzustreichen. Wer an der Reihe ist, darf den wohlkalkulierten Sprung wagen: in die nächste Kabine des Paternosters. Langsam tuckert das Ding vor sich hin, endlos dreht es sich im Kreise und schaufelt Menschen von Etage zu Etage. Nur unter dem »Sockelgeschoß« wird es für die, die den Ausstieg verpaßt haben, kurz einmal ungemütlich: Dann schiebt sich der Korb sachte durch die Finsternis, schwere ölige Eisenketten werden sichtbar, bis er endlich wieder zum Lichte drängt.

Was ein Paternoster ist, weiß spätestens seit Doris Dörries Filmkomödie Männer auch der letzte Hinterwäldler. Kaum bekannt dagegen ist, daß diesen historischen Speziallifts Ende 1994 das offenbar unwiderrufliche Aus droht. Denn bis dahin müssen sie nach einer Bundesverordnung überall in Deutschland durch gewöhnliche Fahrstühle ersetzt werden. Der Grund: die ohnehin schon seltener werdenden Paternoster gelten als zu gefährlich.

Für Berlin ist das besonders schmerzlich, denn die Stadt ist reich an Paternostern. Allein 33 sind im Westteil noch in Betrieb — Anfang der achtziger Jahre waren es noch rund 90 —, und mindestens genauso viele sollen es im Ostteil sein. Die meisten davon ziehen ihre Kreise in exponierten öffentlichen Gebäuden, im Roten Rathaus etwa, im einstigen Haus der Parlamentarier, beim SFB, bei der Kripo in der Gothaer Straße oder in der heute vielfältig genutzten Ex-Stasi-Zentrale an der Normannenstraße. Andere laufen in Firmen, allein sieben zum Beispiel im Industriebereich von Siemens. Und zwei, die noch im Springer-Hochhaus in Kreuzberg installiert wurden, werden als die letzten Berliner Paternoster in die Geschichte eingehen. Denn schon seit Mitte der siebziger Jahre ist der Einbau nicht mehr erlaubt. Der Aufzug-Sachverständige Joeris vom TÜV Berlin-Brandenburg ist überzeugt davon, daß es damit seine Richtigkeit hat: Im Vergleich zu »normalen« Aufzügen, von denen es in West-Berlin etwa 25.000 gibt, sei die Unfallrate bei Paternostern »vierzigfach höher«. Schuld daran seien jedoch die Benutzer selbst, die sich nicht an die angenagelten Vorschriften hielten. Immer wieder blieben Leute mit Leitern oder sperrigen Lasten in den Schächten hängen oder versuchten in Panik herauszuklettern, weil sie meinten, »bei der Fahrt durch Keller oder Dachboden auf den Kopf gestellt zu werden«. Den letzten tödlichen Paternoster-Unfall, so erinnert sich Joeris, habe es in Berlin vor etwa zehn Jahren gegeben.

Daß die Berliner »Personen-Umlaufaufzüge«, so der offizielle Terminus, nach ihrer Ausmusterung Aussicht hätten, von betuchten Privatleuten aufgekauft zu werden, wie es etwa in München vorgeschlagen wurde, bezweifelt Joeris. Der potentielle »Betreiber« nämlich müsse dann nicht nur zusätzlich je einen Behinderten- und Lastenaufzug nachweisen, sondern auch glaubhaft versichern, daß keinerlei Familien- oder Firmenfremde Zutritt zu dem Nonstop-Beförderungsmittel hätten.

Bei den Praktikern an der Basis stößt das künftige Verbot auf Unverständnis. Peter Jech etwa, seit 17 Jahren als Elektriker für die Beaufsichtigung der drei Paternoster im heutigen Gebäude der Treuhand zuständig, findet, daß »die diese Anlagen einfach nicht hier rausnehmen können«. Schließlich würde ja jetzt der »historische Zustand« des einstigen Reichsluftfahrtministeriums wieder hergestellt, und der sei ohne das Karussellvergnügen undenkbar.

Jech zählt zudem die unschlagbaren Vorzüge von Paternostern auf: Sie seien kostengünstig und wartungsarm, verbrauchten ungemein wenig Strom — »ganz im Gegensatz zum Fahrstuhl, der ständig anfahren und bremsen muß« — und könnten eine Menge Leute gleichzeitig zu verschiedenen Zielen befördern. Größere Komplikationen habe er nie erlebt. Die Sicherheit sei durch ein Klappensystem, das Einquetschungen verhindere, geradezu vorbildlich. Grinsend schwelgt der Elektriker in Erinnerungen: In den siebziger Jahren, zur Zeit der Minis, ja, da hätten die hier beschäftigten Männer schon gern mal den Notknopf am »Beamtenbagger« betätigt, um zu schauen, was unter so einem in der Höhe hängengebliebenen Rock stecke. Heute dagegen, fügt Jechs Kollege an, würden die Alarmtasten immerzu von »schlauen Wessis« gedrückt, die »denken, dann hält das Ding kurz an, damit sie einsteigen können«.

Im einstigen ZK der SED, in dem heute Ministerialaußenstellen und Banken sitzen, gibt es sogar noch sechs funktionstüchtige Paternoster. Die Politbüromitglieder allerdings seien da kaum mitgefahren, erinnert sich der Verwaltungschef Uwe Hacker, weil es »gerade bei älteren Leuten da oft eine Hemmschwelle gibt«. Und Honecker sowieso nicht: »Da hätte doch sein Sicherheitspersonal nicht mit in eine Kabine gepaßt.« Unfälle, weiß Hacker, habe es hier durchaus gegeben: Immer dann nämlich, wenn wieder einmal jemand versuchte, mit einer Fahnenstange auf den Paternoster aufzuspringen. cat