Mandela: „Wir müssen realistisch sein“

ANC-Konferenz schlägt härteren Ton gegenüber Südafrikas Regierung an/ Kontrolle der Gewalt und Abschaffung der Sicherheitsgesetze als Vorbedingungen für weitere Verhandlungen genannt/ Neue Strategiekonferenz noch dieses Jahr  ■ Aus Durban Hans Brandt

Die militante Basis des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) hat sich bei dem am Sonntag beendeten Kongreß der Organisation durchgesetzt, obwohl die 2.244 Delegierten auch ein Bekenntnis zu zügigen, friedlichen Verhandlungen über die Zukunft des Landes ablegten. „Verhandlungen bleiben ein Schlachtfeld unseres Kampfes um unser zentrales Ziel, die Übergabe der Macht an das Volk“, sagte der neugewählte ANC- Präsident Nelson Mandela in seiner Abschlußrede. Aber er fügte hinzu: „Der ANC ist ein gleichberechtigter Partner, nicht einfach eine Organisation, die von dem Regime informiert oder zu Rate gezogen werden muß.“

Das geht auch aus der Konferenzresolution zum Thema Verhandlungen hervor. Verhandlungen müssen gekoppelt werden an „Massenkampf und internationalen Druck“, heißt es da. „Verhandlungen bringen nicht die Freiheit, sondern sind eine Anerkennung der Siege, die wir auf der Straße erzielen.“ Neu in dieser Resolution ist auch die Betonung, daß politische Gewalt ein zentrales Hindernis auf dem Weg zu substantiellen Gesprächen über eine neue Verfassung ist. Neben den anderen Forderungen — Freilassung politischer Gefangener, Rückkehr von Exilanten, Abschaffung von Sicherheitsgesetzen — wird nun auch die Kontrolle der Gewalt als absolute Vorbedingung gestellt.

Erst nach der überwindung dieser Hindernisse können die nächsten Schritte ergriffen werden: Einberufung einer Allparteienkonferenz; Bildung einer Übergangsregierung; Wahl einer verfassunggebenden Versammlung und Einführung dieser neuen Verfassung. Obwohl der ANC betont, daß ein demokratisches Südafrika „innerhalb eines festen Zeitrahmens“ erreicht werden soll, gibt es keine Einzelheiten über diesen Zeitrahmen. „Wir müssen intensiver daran arbeiten, eine Verfassunggebende Versammlung zu erzielen“, sagte Mandela. „Die Macht unserer organisierten Massen wird alle Versuche, uns zu destabilisieren, übertrumpfen.“

Auch in der Frage der Sanktionen bleibt der ANC hart, obwohl eine neue Flexibilität eingebaut worden ist. „Wenn es nicht große Flexibilität gibt, könnten wir mit einer leeren Hülse in der Hand dastehen“, warnte Mandela. Deshalb habe die Konferenz eine schrittweise Lockerung in Aussicht gestellt. Die relevante Resolution spricht von Sanktionslockerung in drei Etappen: bei der Entfernung aller Hindernisse auf dem Weg zu Verhandlungen; bei der Bildung einer Übergangsregierung; und bei der Verabschiedung einer demokratischen Verfassung. Keine dieser drei Etappen ist bisher erreicht. Mandela lobte deshalb das dänische Parlament, das eine Aufhebung von EG-Sanktionen verhindert habe.

Bewaffnete Strukturen sollen bleiben

Die Konferenz betonte, daß der bewaffnete Kampf zwar suspendiert, aber nicht beendet ist. „Wir meinen, die Suspendierung ausreichend begründet zu haben“, sagte Mandela. „Dennoch kommt immer noch Unzufriedenheit darüber auf.“ Deshalb soll eine getrennte Konferenz mit der ANC-Armee „Umkhonto we Sizwe“ (Speer der Nation, genannt MK) stattfinden. Inzwischen wird die Armee weiter im Ausland ausgebildet, sie wird ihre Strukturen dort aufrechterhalten und „ständig kampfbereit“ sein. Schwere Kritik von MK-Mitgliedern, die sich seit Aufnahme der Verhandlungen vernachlässigt fühlen, führte zu einer Resolution, die den Aufbau von MK- Strukturen in ganz Südafrika vorsieht. Und in der Resolution zur Gewaltfrage wird betont, daß MK- Mitglieder sich am Aufbau von ANC-Verteidigungseinheiten in schwarzen Wohngebieten beteiligen sollen.

Trotz verschiedener Resolutionen zur politischen Richtung des ANC konnte diese Konferenz bei weitem nicht alle Aspekte der ANC- Politik neu definieren. Deshalb soll innerhalb der nächsten sechs Monate eine separate Konferenz zur Formulierung detaillierter Strategien stattfinden.

Viel wichtiger in der vergangenen Woche waren Diskussionen über die internen Strukturen und Arbeitsweisen des ANC. „Wir haben die Verschmelzung der verschiedenen Teile unserer Organisation geschafft“, sagte Mandela. Aber er gab auch zu, daß die immer wieder an der Führung geäußerte Kritik in vielen Punkten zutreffe. „Die Diskussionen fielen durch ihre Offenheit auf“, sagte er. „Wir müssen zugeben, daß die Art, wie wir bisher die Verhandlungen geführt haben, scharf kritisiert wurde. Einige der Kritikpunkte waren fair und zutreffend.“ Er betonte, die Führung würde sich in Zukunft bemühen, regelmäßiger die Basis zu konsultieren und zu informieren.

Beim Versuch, Unterstützung für den ANC zu gewinnen, wiederholte Mandela allerdings die Sorge des ANC, unter Weißen, Mischlingen und Indern nur wenig Fortschritt gemacht zu haben. „Es hat keine effektive Kommunikation zwischen dem ANC und Minderheitsgruppen in diesem Land gegeben“, sagte er. „Wir müssen realistisch sein. Es gibt verschiedene ethnische Gruppen in diesem Land. Ethnizität ist, vor allem aufgrund der Politik der Regierung, immer noch eine gefährliche Bedrohung für uns.“