Standbild: Gnadenlos uninspiriert

■ "Tini-Tatort", So., 7.6., ARD, 20.15 Uhr

Man sah es gleich, in Tinis Familie stand nicht alles zum Besten. Sie verstört, der Bruder hypernervös, die Mutter an der Flasche und der Vater ein seltsamer Tropf. Doch während es hier schon deutlich nach Kapitalverbrecher roch, holte Kommissar Markowitz erst einmal einen alten Spezi namens Willi aus dem Knast und brachte ihn vor den Nachstellungen irgendwelcher Ex-Kumpane in Sicherheit. Eine klassische Eröffnung, mit der heute jeder Allerweltskrimi beginnt. Aber auf welchen Umwegen würde der Autor die beiden Handlungsstränge zusammenführen, und welche Leichen und Täter könnten dabei anfallen? Doch siehe da, Drehbuchschreiber Werner Waldhoff hatte sich eine neue Variante ausgedacht: Willi verschwand auf Nimmerwiedersehen, und fortan ging's nur noch um Tini und die Ihren. Und sogleich folgte ein weiteres Husarenstück des Autors: Der Vater und Tochter-Schänder wurde umgebracht, und die Zuschauer wußten so gut wie Franz Markowitz, daß ihn seine traute Familie ins Jenseits befördert hatte. All das, was hausbackene Krimis mehr schlecht als recht „am Leben“ hält, war hier also frühzeitig raus.

Doch wer sich nun auf einen filigranen Psycho-Krimi à la Highsmith einrichtete, wurde bitter enttäuscht. Herr Kommissasr sprach mit diesem und jenem, benutzte auffallend häufig öffentliche Verkehrsmittel, fand die geselbstmordete Mutter, brüllte und säuselte, um schließlich festzustellen, was ohnehin von Beginn an klar war: daß es nämlich „völlig wurscht (sei), wer von denen nun letztlich den Mord begangen“ hatte.

Trotz der moralischen Abfederung ein unter strafrechtlichen Gesichtspunkten gewiß bedenklicher Standpunkt für einen Kriminalen, aber für einen Krimi kein sonderlich kühner Akt. Arme Schweine, die in eine dumme Sache hineingerasselt waren, ließ Schimanski schließlich schon reihenweise entkommen. Was von diesem gnadenlos uninspirierten Tatort blieb, war ein übervorsichtiges Drumherumreden um ein „attraktives“ Reizthema (als der Begriff „sexueller Mißbrauch“ zum ersten Mal fiel, war es exakt 21.25 Uhr) und dumme Dialoge. Dazu agierte Günter Lamprecht, alias Franz Markowitz mit Dreitagebart, Trench, Filzhut und Kippe im Mundwinkel ständig an der Grenze zur Karikatur einer Kreuzung aus Franz Biberkopf und Inspector Columbo. Und als man schließlich schon drei Kreuzzeichen machen wollte, daß das lähmende Treiben rund um das Böse nun endlich ein Ende hatte, zauberte der Autor ein letztes Kaninchen aus dem Hut. In Authentizitäts-heischender XY-Manier wurden wir durch Schrifttafeln über das weitere Schicksal jener Figuren informiert, die uns schon über 90 Minuten gelangweilt hatten: Die Mörder kamen davon, und Tinis Freund, der Profi- Fußballer, schaffte es doch nicht bis Juventus Turin, sondern kickt irgendwo in der zweiten Liga. Allemal um Klassen besser als dieser Tatort. Reinhard Lüke