Eine Frau lehrt die Generäle das Fürchten

Die burmesische Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi erhält heute den Sacharow-Preis für Menschenrechte des Europäischen Parlaments. Hausarrest und Diffamierungen der Militärjunta können ihrem Ruf als großer Hoffnungsträgerin keinen Abbruch tun. Im Gegenteil: In Burma wird sie fast wie eine Heilige verehrt.  ■ VONDOROTHEEWENNER

Ein Mangel an Skrupellosigkeit ist es nicht, der die burmesischen Militärs davon abhält, Aung San Suu Kyi umzubringen. Was ihr Leben schützt, dürfte die Angst der Generäle sein vor dem, was geschähe, würde ihr Tod bekannt. Weil Aung San Suu Kyi jedoch lebendig der Regierung von Rangoon nicht minder bedrohlich erscheint, wird sie seit dem 20.Juni 1989 in ihrem eigenen Haus gefangen- und vor allem stillgehalten. Sie darf weder Besuch empfangen, noch Briefe schreiben oder erhalten und auch die Telefonleitungen sind seit nunmehr zwei Jahren unterbrochen. Mit allen Mitteln hat die Junta versucht, die 46jährige dazu zu bewegen, Burma zu verlassen. Doch Aung San Suu Kyi knüpft ihre Ausreise an Bedingungen, die zu erfüllen einer Revolution gleichkämen. Sie hat es geschafft, ihren Hausarrest in einen politischen Protest umzufunktionieren, dessen internationale Auswirkung vielleicht schon bald zum größten Ärgernis der machthabenden Generäle werden könnte: Heute wird sie in Straßbourg mit dem Sacharow-Preis ausgezeichnet, den einer ihrer Söhne entgegennehmen wird. Zu einer Ausreise waren die burmesischen Behörden zwar allzugern bereit, eine Rückkehr, ließen sie allerdings durchblicken, sei ausgeschlossen. Außerdem gilt Aung San Suu Kyi, von Vaclav Havel nominiert, als eine der aussichtsreichsten Kandidaten für den diesjährigen Friedensnobelpreis.

Aung San Suu Kyis Karriere begann wie die einer politischen Märchenprinzessin, im Alter von zwei Jahren. In jenem Juli 1947, am Vorabend von Burmas Unabhängigkeit, wurde ihr Vater Aung San zusammen mit einigen seiner Kabinettsmitglieder erschossen. Der gewaltsame Tod besiegelte Aung Sans Reputation als Held, als Revolitonär, als Freiheitskämpfer. Seine Popularität überstand das 1962 beginnende Terrorregime General Ne Wins und seiner Nachfolger nicht nur unbeschadet, die Jahre der Unterdrückung und der totalen Abschottung Burmas vom Rest der Welt erhöhten Aung San in den Stand eines Heiligen und Märtyrers. Sein Konterfei war auf den ersten größeren Demonstrationen im Jahr 1988 zu sehen und offenbarte die verzweifelte Suche der versprengten, oppositionellen Gruppen nach einer Leitfigur. Auf einem der massenhaft vervielfältigten Fotos hält Aung San ein kleines Mädchen in den Armen. Daß der Held zwei Söhne hatte, von denen der eine ertrunken war und der andere ein unpolitisches Leben als amerikanischer Staatsbürger in San Diego führt, das wußte man in Burma. Seine Tochter jedoch war irgendwie in Vergessenheit geraten. Suu Kyi hatte Burma als 13jährige zusammen mit ihrer Mutter verlassen, die als erste weibliche Botschafterin des Landes nach Indien gesandt worden war. Während dieser Zeit putschte sich General Ne Win an die Macht. Suu Kyi entschloß sich, in Indien zu bleiben. In Delhi begann sie Politische Wissenschaften und die Philosophie Mahatma Gandhis zu studieren. Anschließend ging sie an die Oxford University, um sich dort, ein bißchen widerwillig, der Ökonomie zu widmen, „weil Wirtschaft für ein Entwicklungsland von größtem Nutzen zu sein scheint“. Die frühen siebziger Jahre verbrachte Aung San Suu Kyi als Angestellte der United Nations in New York, heiratete den britischen Tibetologen Michael Arios und zog mit ihm nach England. 1973 und 1977 brachte sie zwei Söhne zur Welt, von den der eine sie 1985 nach Japan begleitete. Die beiden lernten in Kyoto Japanisch, während ihr Mann in Tibet weilte.

Aung San Suu Kyi hatte während der vielen Jahre im Ausland ihre burmesische Staatsbürgerschaft zwar nie abgelegt, war aber immer nur zu Besuch ins Land gekommen. Erst als ihre Mutter im April 1988 einen Schlaganfall erlitten hatte, zog Suu Kyi für mehrere Monate zu ihr ins Krankenhaus nach Rangoon. Seitdem hat sie das Land nicht mehr verlassen. Manche Burmesen mit Hang zum Aberglauben halten es nicht für einen Zufall, daß genau in dieser Zeit die Macht der Militärs ins Wanken geriet. „Suu Kyi war genau im richtigen Moment zurückgekehrt“, meint eine Exil-Burmesin.

Die ökonomische Unabhängigkeit der Generäle hat das einstmals reiche Land an den Rand des Bankrotts geführt, die Devisenkassen waren so gut wie leer. Weil die Stärke der Armee aber vom steten Dollarfluß abhängig ist, sah sich die Regierung zu einer partiellen Öffnung des vormals unzugänglichen Landes gezwungen. Wer in das „Albanien von Südostasien“ gerufen wurde, waren Industrielle, die bereit waren, für schnelles Geld mit der Plünderung von Burmas Ressourcen zu beginnen. Als erste erschienen Thailand, Japan und Südkorea und verhalfen mit ihrer Gier nach Öl, Teak und Edelsteinen dem Unrechtsregime bald wieder zu den notwendigen Devisen für den Kauf von Waffen und Munition. Die Umbruchsituation, die Burmas ökonomische Isolation beendete, wurde unverhofft zu einem politischen Frühling. Vor allem Studenten begannen sich im Sommer 1988 zu organisieren und vorsichtig den Unmut über die jahrzehntelange Unterdrückung, über die Inflation, Verarmung und den Hunger zu artikulieren.

Ein unbekannter Superstar

Aung San Suu Kyis erste öffentliche politische Äußerung war ein Offener Brief an die Regierung im August 1988, in dem sie das Militär auffordert, nicht wieder mit Waffengewalt auf die spontanen Demonstrationen zu reagieren. Mit diesem Brief gewann sie das Vertrauen von U Nu, einem prominenten Politiker aus der Zeit vor dem Putsch. Nicht zuletzt dank seiner Iniative hielt Suu Kyi wenige Tage später ihre erste Rede vor der berühmten Shwedagon-Pagode in Rangoon. Mehrere hunderttausend Menschen kamen, die Tochter Aung Sans zu sehen und zu hören. Den Zuschauerzahlen nach war sie eigentlich schon ein Superstar, und doch kannten sie die wenigsten, nur ein paar Grüchte hatte das Militär über sie verbreitet. Dieses merkwürdige Paradox löste Suu Kyi, als sie sich selbst den Massen vorstellte.

„Es ist natürlich und richtig, daß die, die mich nicht kennen, einige Dinge über mich erfahren möchten. Einige Leute behaupten, daß ich, weil ich die meiste Zeit meines Lebens außerhalb Burmas verbracht habe und mit einem Ausländer verheiratet bin, mit den Feinheiten der Politik dieses Landes nicht vertraut bin. An diese Leute möchte ich mich von diesem Podium aus freimütig und offen wendenm. Es stimmt, daß ich lange im Ausland gelebt habe. Und es stimmt auch, daß ich mit einem Ausländer verheiratet bin. Aber diese Tatsachen haben nie und werden auch in Zukunft nie meine Liebe und Zuneigung zu diesem Land mindern oder schmälern. Etwas anderes, was über mich gesagt wurde, ist, daß ich keine Ahnung von burmesischer Politik habe. Das Problem ist: Ich weiß zuviel darüber. Meine Familie weiß am besten, wie sehr mein Vater für die burmesische Sache hat leiden müssen.“

Die Rede überraschte ob ihrer enormen Wirkung sogar die enthusiastischen Fans und löste bei den Militärs einen Schock aus: Die Opposition drohte sich zu formieren, da sie plötzlich eine Führerin, eine Integrationsfigur mit Charisma und politischem Talent gefunden hatte. Suu Kyi hatte mit sehr einfachen, eindringlichen Worten die Wiederherstellung von Menschenrechten in Burma gefordert. Als überzeugte Gandhi-Anhängerin schlug sie vor, diesen Zustand mit den gewaltfreien Methoden des zivilen Ungehorsams herbeizuzwingen. Als weitgereiste, westerfahrene Burmesin, als Tochter eines nationalen Helden und als eine Person, die in ihrer Geschichte nie mit den Militärs Kompromisse eingegangen war, verkörpert Sung San Suu Kyi gleichzeitig Hoffnung auf Veränderung, Frieden, Demokratie und auch ein bißchen Weltoffenheit. An den Gegenstrategien und Diffamierungskampagnen der Junta läßt sich am leichtesten ablesen, wo die „schwachen“ Punkte jener Frau zu finden sind, die quasi über Nacht zur gefährlichsten Gegnerin der Militärregierung geworden war. Daß sie sich als Frau überhaupt in diese exponierte Stellung wagte, machte sie erst mal noch nicht angreifbar. Im vorwiegend buddhistischen Burma haben Frauen traditonell zwar nur in Ausnahmefällen Machtpositionen inne, werden aber auf eine Weise respektiert, die Macht in ihren Händen nicht per se anstößig erscheinen läßt. Im 19.Jahrhundert war zum Beispiel Königin Supayalat als Mitregentin ihres Mannes akzeptiert und angesehen. Im frühen 20.Jahrhundert arbeiteten Frauen in hohen wirtschaftlichen Positionen: 1937 war die erste Frau als Regierungsmitglied designiert worden und zehn Jahre später zählten immerhin vier Frauen zu den Mitgliedern der verfassunggebenden Versammlung. Heute, in der vom fast 40jährigen Bürgerkrieg erschöpften Gesellschaft, rekrutieren die bewaffneten Widerstandsgruppen immer mehr Frauen auch für direkte Kampfhandlungen, während auf der anderen Seite eine Tochter des Diktators Ne Win die Aktionen des militärischen Geheimdienstes koordinieren soll. Die Junta mußte also speziellere Schwachpunkte als das Nur-weibliche zur Deununziation Aung San Suu Kyis finden. Eine Methode ist seit langem Suu Kyis angebliche Verflechtung mit der Kommunistischen Partei (BCP), die zu beweisen die Junta zum Beispiel im Mai 1989 eine spezielle Pressekonferenz einberief. Im Protokoll heißt es: „Aus Kreisen der BCP wurde bekannt, daß man sie dort heimlich wegen ihres nicht entwickelten Klassenstandpunkts für unfähig hält, die Arbeiterklasse zu repräsentieren. Die BCP will Aung San Suu Kyi deswegen nur so lange benutzen, wie sie der Partei nützlich ist.“ Mit anderen Worten: Aung San Suu Kyi sei als Politikerin eine Null und außerdem zu blöde zu bemerken, wie sie von den Kommunisten instrumentalisiert wird. Diese Denunziation war eher marginal im Vergleich zu den Attacken auf Suu Kyi als Frau, die einen Ausländer zum Mann genommen hat. Zur Absicherung der eigenen Macht im Vielvölkerstaat hatte die Junta seit jeher und mit Systematik Fremdenhaß geschürt. Vom Kindergarten an. Auf die xenophobischen Klischees aufbauend, ließ die Junta zum Beispiel im ganzen Land Plakate aufhängen, die Skizzen von Suu Kyi als asiatische Hure im Kreise westlich aussehender Männer darstellt. „Dies ist Burmas Zukunft in den Händen einer unmoralischen Frau“, war darunter zu lesen.

Die letzte Oppositionelle gegen die Junta

Wenn die Maßnahmen der burmesischen Militärregierung gegen Aung San Suu Kyi auch ein bißchen wie neidische Dummejungenstreiche wirken — sie sind brutal und ernstzunehmen. Der internationalen Reputation wegen hatte die Junta nach einem Massaker in September 1988, das den Ereignissen auf dem Tiananmen-Platz in nichts nachstand, Wahlen versprochen. Bis es im Mai 1990 so weit war, glaubte kaum jemand, daß sie wirklich stattfinden würden. Aung San Suu Kyi stand wie selbstverständlich an der Spitze eines demokratischen Bündnisses, der „Natinal League of Democracy“ (NLD). Bereits ein halbes Jahr vor den Wahlen war sie ohne Begründung unter Hausarrest gestellt worden. Zeitgleich verschwand fast die gesamte Parteispitze in Gefängnissen und Arbeitslagern. Trotzdem gewann die NLD, zur allseitigen Überraschung, über 80 Prozent der Sitze in der Nationalversammlung. Die Junta hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, daß so viele Burmesen demokratisch zu wählen wagen würden und hatte es schlicht versäumt, die Stimmenauszählung zu fälschen. Und so mußten die Generäle mit ziemliche fadenscheinigen Begründungen aufwarten, als sie sich nach der Wahl weigerten, die Regierungsgewalt abzugeben. Bis heute konzentriert sich die Junta darauf, mit terroristischen Methoden die NLD zu zerschlagen. Kaum ein Mitglied ist noch auf freiem Fuß, die NLD-Büros wurden im ganzen Land geschlossen, Papiere und Dokumente beschlagnahmt. Die Bemühung war erfolgreich: Entweder unter Zwang oder korrumpiert haben die letzten noch in Rangoon verbliebenen NLD- Mitglieder Aung San Suu Kyi vor kurzem aus ihrer eigenen Partei ausgeschlossen. Sie selbst, obwohl seit nunmehr zwei Jahren unter Hausarrest, scheint die letzte Oppositionelle, die derzeit noch offiziell gegen die Junta aufbegehrt. Wiederholt hatte man sie zur Ausreise genötigt. Sie reagierte mit einem überaus klugen Schachzug, indem sie die Junta wissen ließ, sie würde das Land verlassen, wenn sie zu Fuß zum Flughafen gehen dürfte. Wenn sie im staatlichen Fernsehen eine Rede halten dürfte. Wenn alle politischen Gefangenen freigelassen würden und die Regierungsgewalt an die gewählten Gremien übergeben würde. Nach diesen vier Forderungen und Suu Kyis „starrer Haltung“ hat die Junta im Juni die Haft einiger ihrer Parteikollegen um viele Jahre erhöht.

Als „Heilige“ verehrt — für den politischen Alltag untauglich?

Bis jetzt hatte Aung San Suu Kyi keine Gelegenheit, zu beweisen, daß sie in der Lage wäre, ihre Ideen von einer gerechteren Gesellschaft in die Tat umzusetzen. Sollte dies jedoch eines Tages der Fall sein, wäre ihre Position in mancherlei Hinsicht vergleichbar mit der anderer Witwen und Töchter, die nach dem Tod ihres Mannes oder Vaters an die Staatsspitze gewählt worden sind. Doch unterscheidet Suu Kyi sich schon jetzt in einigen wichtigen Aspekten von Khaleda Zia, Chamorro, Aquino oder Benazir Bhutto. Wurde der früheren pakistanischen Regierungschefin beispielsweise immer wieder eine fast blinde Verehrung für ihren despotischen Vater vorgeworfen, so unternahm Suu Kyi schon relativ früh vorsichtige Abgrenzungsversuche. Logischerweise auf einem solide gebauten Fundament von Respekt für Aung San. Sehr vorsichtig formulierte sie in ihren Reden Gedanken etwa zum Föderalismus, den ihr Vater sehr viel radikaler verfocht als sie. Über genau diese Frage aber könnte Aung San Suu Kyi einmal stolpern, ließ sie die vielen ethnischen Minoritäten des Vielvölkerstates bislang doch ziemlich im Unklaren darüber, wieviel Autonomie sie ihnen im Fall einer Regierungsübernahme tatsächlich zugestehen würde. Im August 1988 verfügte Aung San Suu Kyi wie alle anderen Zivilisten in Burma über keinerlei Erfahrungen als professionelle Politikerin. In den wenigen Monaten ihrer Arbeit als Oppositionsführerin hat sie sich enorm profiliert und in den zwei Jahren Hausarrest eindrucksvoll ihre Entschlossenheit und Integrität bewiesen. Heute erscheint es manchen Burmesen beinahe schon eine Gefahr, daß sie durch ihre große persönliche Opferbereitschaft einen Status als Heilige erreicht hat, der sie für den politischen Alltag fast untauglich machen könnte. In der Tat wäre es eine übermenschliche Leistung, würde sie als Politikerin jemals der Frau gerecht werden, als die sie in Burma verehrt wird.