Immerhin "besser als gar nichts"

■ Der Zusammenbruch der DDR-Ökonomie hat Fachkräfte auf den Arbeitsmarkt geworfen, deren Qualifikation durch zu lange Arbeitslosigkeit verlorenzugehen droht. Beschäftigungsgesellschaften sollen ihnen...

Immerhin „besser als gar nichts“ Der Zusammenbruch der DDR-Ökonomie hat Fachkräfte auf den Arbeitsmarkt geworfen, deren Qualifikation durch zu lange Arbeitslosigkeit verlorenzugehen droht. Beschäftigungsgesellschaften sollen ihnen helfen, mittelfristig wieder Fuß zu fassen. Vorläufig jedoch scheinen sie nur Vorstufe zur Arbeitslosigkeit zu sein.

Neuerdings, so ein IG-Metall-Funktionär aus der Bezirksverwaltung Berlin-Brandenburg, „sagen wir nicht mehr Beschäftigungsgesellschaft, sondern Arbeitsförderungsgesellschaft.“ Dies sei ein terminologisches Zugeständnis an strenge Marktwirtschaftler vorzugsweise aus der FDP, denen allein die Vorstellung einer vom wirtschaftlichen Prozeß abgekoppelten Beschäftigungssicherung für die von Arbeitslosigkeit bedrohten Belegschaften in Ostdeutschland schon ideologische Bauchschmerzen bereite. Die neue Formulierung ist angelehnt an das Arbeitsförderungsgesetz (AFG), das die rechtliche Grundlage für alle Maßnahmen der Beschäftigungsförderung in Ostdeutschland bereitstellt.

Überall in den neuen Ländern sind in den letzten Monaten Arbeitsförderungs- und Qualifizierungsgesellschaften gegründet worden — allein in Berlin und Brandenburg sollen es inzwischen 41 sei. Die Treuhand sprach kürzlich von rund 200 in der gesamten Ex-DDR. Die meisten von ihnen wurden schon vor jenem ominösen Brief aus der Treuhand gegründet, der eine direkte Beteiligung der Treuhand-Betriebe an den Beschäftigungsgesellschaften unterband. Seit dem durch diesen Brief ausgelösten Streit sind viele Initiativen wieder ins Stocken gekommen. Und so scheint es nicht mehr sicher, ob alle jene von der Bundesanstalt für Arbeit (BfA) für 1991 in Aussicht gestellten ABM-Stellen auch tatsächlich ausgeschöpft werden können.

Im Juni waren rund 850.000 Menschen in den neuen Ländern arbeitslos. 1.900.000 Menschen waren auf Kurzarbeit gesetzt, davon rund 40 Prozent mit weniger als 25 Prozent. Auch diese sind, so die übereinstimmende Meinung der Bundesanstalt, der Gewerkschaften und der Arbeitgeber, de facto ohne Job, obwohl sie sich de jure noch in einem Arbeitsverhältnis befinden. Angesichts dieser Zahlen sind jene insgesamt 280.000 ABM-Stellen, die die BfA für 1991 bereitstellen will, arbeitsmarktpolitisch ein Tropfen auf den heißen Stein. Zumal die Arbeitslosigkeit in den nächsten Monaten nach Auslaufen des Kündigungsschutzes in der Metallindustrie und der Warteschleife im öffentlichen Dienst noch einmal deutlich ansteigen wird. Trotzdem sind die Beschäftigungsgesellschaften derzeit für viele Beschäftigte die einzige Hoffnung, doch noch der Arbeitslosigkeit entrinnen zu können. Nur so ist die Heftigkeit zu erklären, mit der einige Belegschaften auf die Verweigerungshaltung der Teuhand reagiert haben.

Die meisten Beschäftigungsgesellschaften wurden auf dem Gelände von größeren oder mittleren Betrieben in Ostdeutschland gegründet, die ihre Belegschaft ganz oder teilweise abbauen mußten. Ein Beispiel ist die Leipziger Verlade- und Transportanlagen GmbH (VTA) — ein Großbetrieb, der zu DDR-Zeiten Stammbetrieb des TAKRAF- Maschinenbaukombinats war und heute als selbständiger Maschinenbaubetrieb um eine Überlebenschance kämpft. Ein Sanierungsplan sieht vor, daß ein Maschinenbaubetrieb mit 850 Beschäftigten auf dem gewaltigen Firmenareal bestehenbleiben soll, während 927 der rund 1.700 Kurzarbeiter von einer Beschäftigungsgesellschaft übernommen werden sollten. Betriebsrat, Gewerkschaft und Geschäftsleitung waren sich schon längst einig, als im Juni der Treuhand-Brief dazwischenplatzte und alles wieder in Frage stellte. Am ehemaligen „Tag der deutschen Einheit“, dem 17. Juni, wurde der Betrieb von der Belegschaft kurzzeitig besetzt.

Noch ist die Zukunft des Betriebes ungesichert. Weder steht der Sanierungsplan bislang auf betriebswirtschaftlich festen Füßen — weil für alle denkbaren Produktionen leistungsfähige westliche Konkurrenten den Markt beherrschen. Noch konnte die Beschäftigungsgesellschaft gegründet werden. Am 12. Juli soll eine weitere Betriebsversammlung Aufklärung bringen. Was allerdings in der Beschäftigungsgesellschaft produziert werden soll, ist bei der VTA ebenso ungewiß wie bei den meisten anderen.

Laut AFG werden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für ein oder zwei Jahre vom Arbeitsamt bewilligt. Auf Antrag und in Ausnahmefällen können sie um ein weiteres Jahr verlängert werden. Sie haben den Sinn, Belegschafts- und damit Qualifikationszusammenhänge zu erhalten und die Beschäftigten auf eine andere Arbeit innerhalb oder außerhalb ihres ehemaligen Firmenzusammenhangs vorzubereiten. Der DGB hat in einem Papier vom Mai 1991 eine ganze Reihe von „sinnvollen und nützlichen Einsatzfeldern“ der Beschäftigungsgesellschaften aufgelistet, insbesondere im „Bereich unternehmensnaher wie sozialer Infrastruktur“. Im Klartext heißt dies vielfach: Beschäftigungsgesellschaften räumen auf, was die Planwirtschaft des Realsozialismus hinterlassen hat: verseuchte Industriegelände, veraltete Produktionsanlagen sowie Umweltreparatur innerhalb und außerhalb des Werksgeländes. Sanierungsarbeiten in den verfallenden Altbauvierteln gehören dazu ebenso wie die Modernisierung von Campingplätzen.

„Beschäftigungsgesellschaften sind dazu da, sich überflüssig zu machen.“ Das ist auch die Meinung der IG Metall. Für viele ältere Beschäftigte über 50 sind sie der sanfte Übergang zum Vorruhestand. Für viele jüngere werden sie, darüber ist sich auch die Gewerkschaft im klaren, die Vorstufe zur Arbeitslosigkeit sein. Auf der anderen Seite hat der Zusammenbruch der DDR-Ökonomie eine Menge Fachkräfte auf den Arbeitsmarkt geworfen, für die durchaus die Chance auf einen neuen Arbeitsplatz besteht, wenn ihre Qualifikation nicht vorzeitig durch Arbeitslosigkeit zerstört wird. Hier soll die Beschäftigungsgesellschaft den Menschen eine gewisse Frist für die Neuorientierung, Qualifizierung und Umschulung einräumen. Die größte Schwierigkeit dabei ist, daß für eine gezielte Qualifizierung und Umschulung der Arbeitskräfte oft kaum Anhaltspunkte vorhanden sind. Denn dafür müßte wenigstens ansatzweise klar sein, welche Betriebe in der Region überleben, welche neuen Betriebe mit welchem Produktionsprofil sich ansiedeln, und schließlich, wie sich der Arbeitsmarkt mittelfristig entwickeln wird. In der ehemaligen Trabi-Stadt Zwickau ist das relativ einfach: dort will der VW-Konzern ein neues Werk mit rund 7.000 Arbeitsplätzen aufbauen, das zusätzlich noch rund 5.000 Menschen in Zulieferbetrieben beschäftigen wird. Die Beschäftigungsgesellschaft auf dem Gelände der Sachsenring GmbH, an der sich das VW-Bildungswerk mit einer Sperrminorität von mindestens 25,1 Prozent beteiligen will, wird Teile der Trabi-Belegschaft vorzugsweise für eine Tätigkeit in diesen Werken vorbereiten. In den meisten Regionen dagegen gibt es keine derartig klaren Zukunftsperspektiven.

Die Qualifikation wird auch durch die Förderrichtlinien der BfA erschwert. Denn Beschäftigte in reinen AB-Maßnahmen erhalten den vollen Tariflohn, während bei Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen bloß 68 bis 73 Prozent des bisherigen Lohns vom Arbeitsamt übernommen werden. Wer nach Abschluß der Umschulung keine realistische Aussicht auf einen Arbeitsplatz hat, muß deshalb später mit empfindlichen Verschlechterungen beim Arbeitslosengeld rechnen. Kein Wunder, daß sich der Bildungs- und Umschulungsdrang immer noch in Grenzen hält und quantitativ hinter den AB-Maßnahmen zurückbleibt.

Aber auch wenn es keine klaren Perspektiven gibt, sind die Beschäftigungsmaßnahmen nach Meinung der Gewerkschaften sinnvoll. „Geld ist da, und Arbeit ist da. Es gelingt uns aber noch nicht, beides zusammenzubringen“, meint Winfried Heydemann von der Hans-Böckler- Stiftung, Experte für Beschäftigungsgesellschaften. Er sieht die Chance, daß sich aus den Beschäftigungsgesellschaften neue Produktionsbetriebe entwickeln. Zumindest Teilbereiche könnten sich als mittelständische Baubetriebe verselbständigen, wenn die Kommunen ihre Sanierungs- und Renovierungsaufträge an die Gesellschaften vergeben. Zwar räumt auch er ein, daß die Massenarbeitslosigkeit in Ostdeutschland dadurch kaum eingedämmt werden kann. Aber trotzdem: „Besser dies als gar nichts.“ Schließlich böten diese Initiativen bei der allgemeinen Aussichtslosigkeit wenigstens die Möglichkeit, „selbst etwas zu tun“. Martin Kempe